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Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

Titel: Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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gleich kommen. Sie müssen die letzten Schritte besprechen. Das Schiff bleibt selten über Nacht. Meistens nimmt es Holz auf und legt in der Abenddämmerung ab. Händler scheinen es stets eilig zu haben.
    Bluma erträgt die Anspannung kaum noch. Einerseits ist da Angst, andererseits riecht sie die weite Welt und kann es kaum noch aushalten. Sie werden sich irgendwo unter Deck verstecken. Sie sind klein. Niemand wird sie finden, und wenn sie erstmal unterwegs sind, wird sich alles klären.
    Momma tritt zu ihr. Sie ist kugelrund und trägt schwer am Baby. Sie keucht und wischt sich Schweiß vom Gesicht. »Sie werden uns Schmuck mitbringen«, sagt sie. »Und Schweineleder, das ist weicher als Crockerleder.«
    Bama presst die Lippen aufeinander und stirbt bald vor schlechtem Gewissen.
    Momma legt ihr einen Arm über die Schulter und drückt sie an sich. »Du bist ein liebes Kind …«, sagt sie zärtlich. So ist sie oft in letzter Zeit. Mal schimpft sie, mal ist sie traurig, dann wieder ganz lieb. Bobba sagt, Weiber seien so, wenn sie ein Kind tragen. Trotzdem hat Bluma fast den Eindruck, sie wisse Bescheid.
    »Ein schönes Schiff, nicht wahr?«, fragt Momma.
    »Ich wusste gar nicht, dass du Schiffe schön findest«, gab Bluma mit viel zu hoher Stimme zurück.
    Momma nickt still. »Wenn die Segel in der Sonne leuchten, meint man nicht, wie gefährlich das Meer ist. Dann wirkt alles so schön und selbstverständlich. Als wenn ein Schiff genau für das Meer gemacht ist.«
    Bluma lächelt.
    Wo bleibt Binko?
    »Momma, es ist für das Meer gemacht.«
    Momma sagt: »Hast du es schon gehört?«
    »Was, Momma?«
    Sie streichelt Blumas Rücken. »Es tut mir so leid, meine Kleine.«
    Bluma fängt an zu zittern. Was hat das zu bedeuten? Sie dreht sich zu Momma um. Diese nimmt ihr Gesicht in beide Hände. »Heute Nacht, Bluma – heute Nacht ist …« Ihre Augenbrauen ziehen sich zu einem Strich zusammen und ihre Augen gucken ganz traurig. »Heute Nacht ist Binko gestorben. Ihr habt euch doch so gut verstanden, oder? Alle im Dorf meinen das.«
    Blumas glaubt nicht, was Momma sagt. Wie kann das sein? Er ist so jung. So kraftvoll. Er wird ein großer Wareikenpflücker werden.
    »Nein«, sagt sie und schüttelt den Kopf. Momma gibt ihre Wangen frei.
    »Doch, Bluma.«
    »Nein, Momma. Das ist ein böser Scherz. Damit wir nicht weggehen. Damit wir hierbleiben.«
    »Weggehen? Hierbleiben? Was meinst du damit?« Momma guckt mit großen Augen.
    Im selben Moment erkennt Bluma, dass Momma die Wahrheit sagt. Ihre Beine werden wackelig. Am liebsten möchte sie sich hinsetzen. Tränen schießen in ihre Augen. Sie hat das Gefühl, ihr Kopf platzt auseinander wie eine reife Frucht. Momma drückt sie an sich, was wegen des Bauches nicht einfach ist, doch es gelingt. »Was ist passiert? Wie konnte das geschehen?«, schluchzt sie an Mommas Busen.
    Binkos Herz hatte ausgesetzt. Einfach so. Er schlief und als man ihn fand, lächelte er. Bemtoc war ratlos, niemand wusste, warum das geschehen war. Man fand weder einen Giftbiss, noch andere Merkmale, die für einen so überraschenden und frühen Tod sprachen.
    So etwas Grauenvolles könne vorkommen, meinte man.
    Später fand man einen Brief, den Binko geschrieben hatte. Bluma war nicht mit einem Wort erwähnt. Hatte er sie zurücklassen wollen? Hatte er sie für zu jung befunden? Bluma vernichtete ihren eigenen Brief, den sie gemeinsam mit Binko verfasst hatte. Man flüsterte im Dorf, Binko habe vorgehabt, sich an Bord des Schiffes zu schleichen. Er habe das Dorf im Stich lassen wollen. Kindereien! Liebe Güte, der Ärmste war noch ein Kind gewesen und Kinder dachten manchmal komische Dinge. Blumas Herz schmerzte, als sie diese Sätze hörte, doch sie schwieg dazu.
    Regelmäßig legten Schiffe an.
    Kleine Schiffe, große Schiffe.
    Und stets standen die Barbs am Strand und winkten ihnen hinterher.
    Bluma war nie dabei.
     
     
    Es war grausam.
    Falls der Sanfte Jack wirklich glaubte, sie mit Schmerzen zur Demut zu erziehen, hatte er sich getäuscht. Nein, sie gab nicht klein bei. Demut war nichts, für das man sich schämen musste, erzwungene Demut hingegen war eine Niederlage!
    Der Sanfte Jack hatte von Verinnerlichung gesprochen und darüber, dass Schmerzen in Kombination mit Verinnerlichung sie weiser und älter machen sollte. Was sollte der Unsinn?
    Weisheit erfuhr man durch Belehrung, hatte Lehrer Biggert gesagt. Sie sei keine Medizin, die man runterschlucke und schwupps! sei alles so, wie man es sich

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