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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Fall gekannt; ohne die Freundschaft zu ihr wäre sie gar nicht erst in die Geschichte verwickelt worden. Allerdings waren sie sich während dieser ereignisreichen Zeit noch nähergekommen. Hester hatte es Edith auch ermöglicht, ihr Elternhaus zu verlassen, indem sie sie dem Major vorstellte, der ihr daraufhin das Angebot machte, sie – eine Witwe ohne jegliche Berufserfahrung als Sekretärin einzustellen, damit sie ihm bei der Niederschrift seiner Memoiren über seine Zeit in Indien half.
    Hester kam am frühen Nachmittag an, ohne ihren Besuch angekündigt zu haben; dazu war keine Zeit gewesen. Nichtsdestoweniger hieß man sie aufs Herzlichste willkommen und ließ alles liegen und stehen.
    »Hester! Wie wunderbar, Sie zu sehen! Wie geht es Ihnen? Gott, was sehen Sie müde aus, meine Liebe. Kommen Sie doch herein und erzählen Sie uns, wie es Ihnen so geht. Der Tee kommt sofort. Sie bleiben doch, oder?« Ediths neugieriges Gesicht, gewöhnlich und schön zugleich, leuchtete vor Begeisterung.
    »Natürlich bleibt sie!« sagte der Major rasch. Bis auf ein kaum merkliches Hinken war er wieder völlig gesund. Hester hatte ihn nie aktiv erlebt, und so war es eine ziemliche Überraschung für sie, ihn auf den Beinen zu sehen, ganz zu schweigen davon, daß er sich um sie kümmerte und nicht umgekehrt. Keine Spur mehr von Schmerz und Frustration im Gesicht; trotzdem sah er immer noch genauso rosig geschrubbt und sauber aus wie damals, und auch das Haar stand immer noch ab wie die Haube eines weißen Vogels.
    Mit Freuden willigte sie ein. Es war ein schönes Gefühl, wieder einmal unter Freunden zu sein und keinerlei Pflichten zu haben, außer Tee und Konversation.
    »Bei wem sind Sie denn im Augenblick? Wo pflegen Sie?« fragte Edith eifrig und ließ sich mit ihrer typischen Mischung aus Anmut und bäurischer Uneleganz in einen großen Sessel sinken. Hester war entzückt, da dies bedeutete, daß sie sich hier völlig zu Hause fühlte. Sie setzte sich nicht auf den Rand, mit steifem Kreuz, die Röcke drapiert, die Hände gefaltet, wie sich das für eine Dame gehörte. Hester spürte, wie sie sich selbst entspannte; ohne einen besonderen Grund zu haben, lächelte sie.
    »Im Königlichen Armenspital in der Gray’s Inn Road«, antwortete sie.
    »In einem Hospital?« Major Tiplady war erstaunt. »Nicht privat? Wie das denn? Ich dachte, Sie empfänden das als zu…« Er zögerte, um einen diplomatischen Ausdruck verlegen.
    »Beengend für Ihr Temperament«, beendete Edith den Satz für ihn.
    »Ist es auch«, gab Hester, immer noch lächelnd, zu. »Es ist nur vorübergehend. Ausgesprochen höflich von Ihnen, mich nicht daran zu erinnern, daß es überhaupt noch ein Krankenhaus gibt, das mich nach meinem letzten Erlebnis nimmt. Lady Callandra Daviot sitzt im Verwaltungsrat. Sie hat mir die Stellung verschafft, nachdem ihre beste Schwester, die ebenfalls auf der Krim war, ermordet wurde.«
    »Mein Gott, wie schrecklich!« Edith machte ein langes Gesicht. »Wie kam es denn dazu?«
    »Das wissen wir nicht«, antwortete Hester und wurde wieder ernst. »Lady Callandra hat Monk mit dem Fall betraut, neben der Polizei, versteht sich. Und deshalb bin ich dort.«
    »Äh!« Die Augen des Majors leuchteten begeistert auf. »Dann sind Sie also wieder einmal als Detektiv unterwegs.« Dann wurde er wieder ernst. »Seien Sie ja vorsichtig, meine Liebe. Ein solches Unterfangen könnte sehr leicht gefährlich werden, wenn man Ihre Absichten entdeckt.«
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, versicherte Hester ihm. »Ich bin dort nur eine Schwester wie jede andere auch.« Sie lächelte übers ganze Gesicht. »Wenn man mich dort nicht mag, so nur weil ich im Krimkrieg gedient habe und herrisch und eigensinnig bin!«
    »Und wie war die Ermordete?« erkundigte sich Edith.
    »Herrisch und eigensinnig.« Hester bedachte sie mit einem schiefen Lächeln. »Aber ehrlich, wenn das ein Motiv für Mord wäre, dann wären nur noch wenige von uns am Leben.«
    »Haben Sie denn eine Vorstellung, warum man sie ermordet hat?« fragte der Major über Ediths Sessel gebeugt.
    »Nein… nicht die geringste. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Monk sieht sich einige davon genauer an. Ich würde gern mehr über einen deutschen Arzt herausfinden, der dort arbeitet. Ich gebe zu, daß er mir sympathisch ist, und mir mehr darum zu tun ist, seine Unschuld zu beweisen als seine Schuld. Ich frage mich …« Sie verstummte. Was sie hatte sagen wollen, kam ihr mit einemmal

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