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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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überraschte Antwort.
    »Ja.« Callandra begegnete seinem Blick, und er wußte, sie verstand genau.
    »Ein Mann mit kühlem Verstand und ruhiger Hand«, bemerkte er. Wieder war er sich der Blicke der Geschworenen hinauf zur Anklagebank bewußt.
    Lovat-Smith kam auf die Beine.
    »Ja, ja«, sagte Richter Hardie und winkte ab. »Mr. Rathbone, bitte sparen Sie sich derlei Kommentare für das Plädoyer. Lady Callandra war während des Rests der Operation nicht zugegen und konnte sich so kein Urteil darüber bilden. Sie haben bereits ihre Aussage, daß der Patient überlebt hat, was Sie bereits wußten, wie ich mir vorstellen kann? Ja – selbstverständlich. Bitte, fahren Sie fort.«
    »Ich danke Ihnen, Euer Ehren.« Rathbone verbeugte sich kaum merklich. »Lady Callandra, wir dürfen also davon ausgehen, daß Sie die Polizei informiert haben. Einen gewissen Inspektor Jeavis, glaube ich. War das das Ende Ihres Engagements in diesem Fall?«
    »Wie bitte?« Sie blinzelte und wurde noch bleicher; etwas wie Angst zeigte sich in ihrem Blick und dem Zucken um ihren Mund.
    »War das das Ende Ihres Engagements in diesem Fall?« wiederholte er. »Oder haben Sie weitere Schritte unternommen?«
    »Ja – ja, das habe ich…« Sie verstummte.
    »Tatsächlich? Und was war das?«
    Wieder ging ein Rascheln durch den Saal, als Seide und Taft gegeneinander rieben oder zerdrückt wurden, weil die Leute sich vorbeugten. Richter Hardie sah sie fragend an.
    »Ich… ich habe einen privaten Ermittler beauftragt, mit dem ich bekannt bin«, antwortete sie sehr ruhig.
    »Würden Sie das bitte so sagen, daß die Geschworenen Sie hören können«, wies Richter Hardie sie an.
    Sie wiederholte es deutlicher und starrte Rathbone dabei an.
    »Warum haben Sie das getan, Lady Callandra? Hielten Sie die Polizei nicht für fähig, sich um die Angelegenheit zu kümmern?« Aus dem Augenwinkel sah er Lovat-Smith erstarren und wußte, daß er ihn überrascht hatte.
    Callandra biß sich auf die Lippe. »Ich war mir nicht sicher, ob sie den Fall würde klären können. Das ist schließlich nicht immer so.«
    »In der Tat nicht«, pflichtete Rathbone ihr bei. »Ich danke Ihnen, Lady Callandra. Ich habe keine weiteren Fragen an Sie.« Noch bevor der Richter ihr eine Anweisung geben konnte, war Lovat-Smith wieder auf den Beinen. »Lady Callandra, glauben Sie, man hat in diesem Fall die richtige Lösung gefunden?«
    »Einspruch!« sagte Rathbone sofort. »Lady Callandras Meinung ist, bei aller Vortrefflichkeit, in diesem Verfahren nicht relevant!«
    »Mr. Lovat-Smith«, sagte Richter Hardie mit einem leichten Kopf schütteln. »Wenn das alles ist, was Sie zu sagen haben, so ist Lady Callandra entlassen. Das Gericht dankt der Zeugin.«
    Lovat-Smith setzte sich mit verkniffenem Mund; Rathbones Blick wich er aus.
    Rathbone lächelte, aber ohne Befriedigung.
    Richter Hardie rief Jeavis in den Zeugenstand. Er mußte schon viele Male vor Gericht ausgesagt haben, weit öfter als irgendein anderer hier, und dennoch wirkte er merkwürdig fehl am Platz. Sein hoher weißer Kragen schien ihm zu eng, die Ärmel zwei Fingerbreit zu kurz.
    Er sagte über die nackten Tatsachen aus, so wie er sie kannte, ohne die Spur einer Emotion oder Meinung. Trotzdem verschlangen die Geschworenen jedes seiner Worte, und nur ein-, zweimal wandte sich einer von ihnen ab, um Sir Herbert auf der Anklagebank anzusehen.
    Rathbone war lange hin und her gerissen gewesen, ob er Jeavis ins Kreuzverhör nehmen sollte oder nicht. Er durfte sich von Lovat-Smith nicht zu einem Fehler verleiten lassen! An Jeavis’ Aussage war nichts zu deuteln; aus ihm war nichts weiter herauszuholen.
    »Keine Fragen, Euer Ehren«, sagte er. Er sah ein amüsiertes Leuchten in Lovat-Smiths Gesicht.
    Der nächste Zeuge der Anklage war der Polizeiarzt, der über Zeitpunkt und Todesursache aussagte. Eine reine Formsache, so daß Rathbone auch ihn nichts zu fragen hatte. Rathbones Gedanken schweiften ab. Als erstes studierte er die Geschworenen, einen nach dem anderen. Ihre Gesichter waren noch frisch, ihre Konzentration ungebrochen; sie bekamen jedes Wort mit. In zwei, drei Tagen würden sie ganz anders aussehen; ihre Augen würden dann müde sein, ihre Muskeln verkrampft. Sie würden unruhig werden und zu zappeln beginnen. Sie würden sich nicht mehr ansehen, wer sprach, sondern in der Gegend herumstarren – so wie er jetzt. Und es war gut möglich, daß sie, was Sir Herberts Schuld anbelangte, längst zu einem Schluß gekommen

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