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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wären.
    Schließlich, vor der Mittagspause, rief Lovat-Smith Mrs. Flaherty auf. Sie stieg die Stufen zum Zeugenstand sehr vorsichtig hinauf, ihr Gesicht vor Konzentration ganz weiß, die schwarzen Röcke wischten über die Handläufe zu beiden Seiten. Sie sah aus wie eine in die Jahre gekommene Haushälterin. Rathborne erwartete fast, einen Schlüsselbund an ihrer Hüfte baumeln zu sehen, ein Haushaltsbuch in ihrer Hand.
    Sie wandte sich dem Gericht zu, Angriffslust und Mißbilligung in ihren verkniffenen Zügen. Sie betrachtete die Notwendigkeit, an einem solchen Ort zu sein, als Affront.
    Kriminalverfahren waren unter der Würde anständiger Leute, und sie hätte nie im Leben erwartet, sich je in einer solchen Lage zu sehen.
    Lovat-Smith amüsierte das offensichtlich. In seinem Gesicht jedoch war nichts als Respekt, und seine Manieren waren tadellos. Rathbone freilich kannte ihn gut genug, um es am Winkel seiner Schultern zu sehen, seinen Gesten, selbst an der Art, wie er über die polierten Dielen schritt und zu ihr hinaufsah.
    »Mrs. Flaherty«, begann er in aller Ruhe. »Sie sind Oberschwester im Königlichen Armenspital, nicht wahr?«
    »Das bin ich« sagte sie grimmig. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, schloß dann aber die Lippen zu einem dünnen Strich.
    »Ganz recht!« sagte Lovat-Smith. Er war weder von einer Gouvernante erzogen worden, noch war er je in einem Krankenhaus gewesen. Tüchtige Damen mittleren Alters nötigten ihm keinen Respekt ab wie vielen seiner Kollegen.
    In einem ihrer seltenen entspannten Augenblicke hatte er Rathbone, spätabends und bei einer Flasche Wein, anvertraut, er habe ein Internat am Rande der Stadt besucht; erst dort habe ein Gönner seine Intelligenz entdeckt und ihn auf eine bessere Schule geschickt.
    Jetzt sah Lovat-Smith ausdruckslos-höflich zu Mrs. Flaherty auf. »Wären Sie so gut, Madam, dem Gericht zu sagen, wo Sie am Tag, an dem Prudence Barrymore zu Tode kam, waren – von zirka sechs Uhr morgens an bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sie von der Entdeckung der Leiche hörten. Ich danke Ihnen vielmals.«
    Widerwillig, aber präzise sagte sie ihm, was er hören wollte. Auf seine häufigen Zwischenfragen hin, berichtete sie dem Gericht außerdem über den Verbleib fast aller anderen Schwestern, die an jenem Morgen Dienst gehabt hatten; zum Teil auch über den des Kaplans und der Operationsassistenten.
    Rathbone unterbrach ihn nicht. Weder stritt er sich über einen der Verfahrenspunkte, noch zweifelte er die Fakten an. Es wäre dumm gewesen, die Aufmerksamkeit auf die Schwäche seiner Position zu lenken, indem er gegen einen Punkt anging, den er nicht gewinnen konnte. Sollten die Geschworenen lieber denken, er halte sich zurück in der Gewißheit, daß er noch einen entscheidenden Schlag in der Hinterhand hatte. Mit der Andeutung eines Lächelns lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und setzte eine ruhige, interessierte Miene auf.
    Er bemerkte, daß einige der Geschworenen zu ihm herübersahen, dann zu Lovat-Smith, und wußte, daß sie sich fragten, wann die eigentliche Schlacht beginnen würde. Außerdem warfen sie verstohlene Blicke auf Sir Herbert. Er war sehr blaß, aber falls er Angst hatte oder eine finstere Schuld ihn quälte, auf seinem Gesicht war nicht das geringste zu sehen.
    Rathbone musterte ihn diskret, während Lovat-Smith Mrs. Flaherty noch weitere Einzelheiten aus der Nase zog. Sir Herbert hörte aufmerksam zu, aber wirkliches Interesse zeigte er nicht. Er schien entspannt, sein Rücken war kerzengerade, die Hände auf dem Geländer vor ihm verschränkt. Es war alles bereits bekannt, und er wußte, es hatte keinerlei Einfluß auf den eigentlichen Fall. Er hatte nie bestritten, zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus gewesen zu sein, und Mrs. Flaherty ließ nur die Randpersonen aus, die man ohnehin nie wirklich verdächtigt hatte.
    Richter Hardie unterbrach die Verhandlung für die Mittagspause, und als man den Saal verließ, schloß sich Lovat-Smith mit einem belustigten Glitzern in seinen merkwürdig hellen Augen Rathbone an. »Wie in aller Welt konnten Sie das übernehmen?« fragte er gelassen, aber seine Fassungslosigkeit war nicht zu überhören.
    »Was übernehmen?« Rathbone blickte geradeaus, als hätte er nichts gehört.
    »Diesen Fall, Mann! Den können Sie nicht gewinnen!« Lovat-Smith war vorsichtig. »Diese Briefe brechen ihm das Genick.«
    Rathbone wandte sich ihm lächelnd zu, ein freundliches und strahlendes Lächeln, das seine

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