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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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freilich, wie Prudence ihn behandelt hatte, hätte die Geduld der meisten Männer auf eine harte Probe gestellt.
    Über Nanette Cuthbertson erfuhr er nichts Schlüssiges. Wenn sie schlichte Kleidung getragen hätte, wie Schwestern und Hausangestellte sie trugen, dann könnte sie hinein und wieder hinausgegangen sein, ohne bemerkt zu werden.
    Bis zum Spätnachmittag war er sämtlichen Möglichkeiten nachgegangen; er war dieses Falles nicht weniger überdrüssig als seiner eigenen Art. Er hatte ein gutes Dutzend Leute erschreckt oder beleidigt, ohne etwas erreicht zu haben.
    Er verließ das Krankenhaus und trat hinaus auf die Straße, mitten in das Geklapper der Hufe und das Zischen der Räder, das Geschrei der Gemüsehändler, der Hausierer, die ihre Ware priesen, zwischen Männer und Frauen, die ihr Ziel zu erreichen versuchten, bevor der schwere Himmel über ihnen sich in einem Sommergewitter entlud.
    Er blieb stehen und kaufte sich eine Zeitung von einem Jungen, der schrie: »Das Neueste über den Prozeß um Sir Herbert! Das müssen Sie lesen! Nur einen Penny! Hier haben Sie das Neueste!« Aber als Monk die Seite aufschlug, fand er kaum etwas Neues: lediglich weitere Fragen und Zweifel an Prudence, was ihn wütend machte.
    Einen Ort gab es noch, an dem er es versuchen könnte. Nanette Cuthbertson hatte nur einige hundert Meter weiter bei Freunden übernachtet. Es war möglich, daß die etwas wußten, wie belanglos auch immer.
    Der Butler empfing ihn ausgesprochen kühl; hätte er ihn abweisen können, ohne den Anschein zu erwecken, sich der Gerechtigkeit in den Weg zu stellen, nahm Monk an, er hätte es getan. Der Herr des Hauses, ein gewisser Roger Waldemar, war so kurz angebunden, daß er schon unhöflich war. Seine Frau dagegen war entschieden höflich, und Monk entdeckte ein bewunderndes Glitzern in ihren Augen.
    »Meine Tochter und Miss Cuthbertson sind seit Jahren befreundet.« Obwohl ihr Gesicht ernst war, hatte sie ein Lächeln in den Augen.
    Sie saßen allein in ihrem Salon, der ganz in Grau und Rosa gehalten war und auf einen winzigen, von einer Mauer gesäumten Garten hinausführte – ideal zum Nachdenken oder für Liebeleien. Monk verwarf seine Spekulationen darüber, was hier wohl schon alles passiert war, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Aufgabe.
    »Genaugenommen von Kindheit an«, sagte Mrs. Waldemar eben. »Miss Cuthbertson war an jenem Abend mit uns auf dem Ball. Sie sah wirklich hübsch aus, und sie war so lebhaft. Sie hatte richtig Feuer in den Augen, wenn Sie wissen, was ich meine, Mr. Monk? Es gibt Frauen, die haben so eine gewisse …«, sie hob vielsagend die Achseln, »Lebendigkeit, die anderen völlig abgeht, ungeachtet der Umstände.«
    Monk antwortete mit einem Lächeln. »Natürlich, Mrs. Waldemar, ich weiß. Es ist nicht gerade etwas, was ein Mann übersehen oder vergessen könnte.« Er gestattete seinem Blick, den Bruchteil einer Sekunde länger als nötig auf ihr zu ruhen. Er hatte Geschmack an dieser Art Macht, und eines Tages würde er feststellen, wie weit er gehen könnte. Er war sicher, es war um einiges weiter als dieser stillschweigende kleine Flirt.
    Sie senkte die Augen, und ihre Finger zupften am Stoff des Sofas, auf dem sie saß. »Ich glaube, sie ging schon sehr früh aus dem Haus, um sich etwas in der frischen Luft zu ergehen«, sagte sie deutlich. »Sie war nämlich zum Frühstück nicht da. Aber es wäre mir wirklich nicht recht, wenn Sie in diesen Umstand etwas Bedauerliches hineinläsen. Ich bin sicher, sie wollte sich nur etwas Bewegung verschaffen, vielleicht um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich nehme an, sie wollte über etwas nachdenken.« Sie sah ihn durch ihre Wimpern hindurch an. »Ich an ihrer Stelle hätte das nämlich getan. Und für derlei muß man allein und ungestört sein.«
    »An ihrer Stelle?« erkundigte sich Monk und musterte sie ruhigen Blicks. Ihr Gesicht war ernst geworden. Sie hatte ausgesprochen schöne Augen, aber sie war nicht der Typ Frau, der ihn ansprach. Sie war zu willig, ihre Unzufriedenheit zu offensichtlich.
    »Ich… ich weiß nicht, ob das nicht etwas indiskret ist. Und es kann ja auch völlig bedeutungslos sein…«
    »Wenn es nicht von Bedeutung ist, Madam, dann werde ich es auf der Stelle vergessen«, versprach er ihr und beugte sich etwas in ihre Richtung. »Ich kann meine Meinung durchaus für mich behalten.«
    »Da bin ich mir sicher«, sagte sie langsam. »Nun denn, die arme Nanette hegt seit geraumer Zeit

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