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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Rathbone ruhig. »Aber Geoffrey Taunton sitzt nicht auf der Anklagebank – noch nicht. Ich habe noch eine Menge zu tun, bevor ich ihn dorthin bringen kann. Ich wollte Ihnen nur sagen, wir haben allen Grund zur Hoffnung, also verlieren Sie nicht den Mut.«
    Sir Herbert lächelte. »Ich danke Ihnen – Sie sind sehr ehrlich. Ich verstehe, daß Sie nicht mehr sagen können. Ich befand mich in der gleichen Situation mit Patienten. Ich verstehe Sie voll und ganz.«
    Wie der Zufall es wollte, spielte Lovat-Smith Rathbone in die Hand. Seine erste Zeugin dieses Tages war Nanette Cuthbertson. Sie stieg anmutig die Stufen zum Zeugenstand hinauf, wobei sie ihre Röcke mit einem einzigen Schwung des Handgelenks durch die enge Passage manövrierte. Oben angekommen, drehte sie sich um und begegnete seinem Blick mit einem ruhigen Lächeln. Sie trug Dunkelbraun, eine Farbe, die bei aller Nüchternheit auch ihrem Haar und dem warmen Teint schmeichelte. Ein beifälliges Raunen ging durch den Saal, und so mancher nahm die Schultern zurück. Einer der Geschworenen nickte, ein anderer zog sich den Kragen zurecht.
    Ihr Interesse an diesem Morgen war nicht besonders groß. Die erhofften Enthüllungen wollten sich nicht einstellen. Sie hatten erwartet, daß Stück für Stück Beweise erbracht würden, die Sir Herbert im einen Augenblick schuldig und im nächsten unschuldig erscheinen ließen; und nicht zuletzt hatten sie einen Kampf der Giganten erwartet.
    Statt dessen hatte man ihnen eine ermüdende Prozession ganz gewöhnlicher Leute geboten, deren Ansicht nach Prudence Barrymore eine ausgezeichnete Krankenschwester, aber keineswegs eine große Heldin gewesen war. Offensichtlich hatte sie das gleiche durchgemacht wie viele andere junge Frauen auch, als sie sich einbildete, von einem Mann geliebt zu werden, der einfach nur höflich war. Traurig, ja sogar bemitleidenswert, aber nicht eben der Stoff für ein großes Drama. Niemand hatte bisher eine befriedigende Alternative zum Verdächtigen präsentiert.
    Jetzt hatte man wenigstens eine interessante Zeugin, eine forsche und doch sittsame junge Frau. Die Leute reckten die Hälse, ganz erpicht darauf zu sehen, warum man sie wohl aufgerufen hatte.
    »Miss Cuthbertson«, begann Lovat-Smith, sobald die nötigen Formalitäten erledigt waren. Er kannte die Erwartungen und wußte, wie wichtig es war, den Pegel der Emotionen nicht sinken zu lassen. »Sie kannten Prudence Barrymore von Kindesbeinen an, nicht wahr?«
    »Das stimmt«, antwortete Nanette offen, das Kinn gehoben, den Blick gesenkt.
    »Kannten Sie sie gut?«
    »Sehr gut.«
    Keiner machte sich die Mühe, Sir Herbert anzusehen. Alle hatten nur Augen für Nanette; man wartete auf die Aussagen, deretwegen man sie aufgerufen hatte.
    Nur Rathbone warf einen heimlichen Seitenblick hinauf zur Anklagebank. Sir Herbert saß auf der Kante der Bank und spähte in tiefer Konzentration hinüber zum Zeugenstand. Er hatte einen geradezu ungeduldigen Ausdruck im Gesicht.
    »War sie romantisch veranlagt?« fragte Lovat-Smith.
    »Nein, nicht im geringsten«, sagte Nanette mit einem wehmütigen Lächeln. »Sie war extrem praktisch veranlagt. Sie machte sich nicht die geringste Mühe, ihren Charme spielen zu lassen oder Herren anzuziehen.« Sie bedeckte die Augen, dann sah sie wieder auf. »Ich spreche nicht gern schlecht über jemanden, der nicht anwesend ist, um sich zu verteidigen, aber wenn es darum geht, eine Ungerechtigkeit zu vermeiden, muß ich einfach die Wahrheit sagen.«
    »Selbstverständlich. Ich bin sicher, wir verstehen das alle«, sagte Lovat-Smith etwas salbungsvoll. »Hatten Sie Kenntnis über ihre Vorstellungen von der Liebe, Miss Cuthbertson? Junge Damen vertrauen sich einander doch von Zeit zu Zeit an.«
    Sie nahm einen dem Thema angemessenen sittsamen Ausdruck an. »Ja. Ich fürchte, sie hätte außer Sir Herbert Stanhope keinen anderen angesehen. Es gab noch andere, ausgesprochen geeignete und forsche junge Herren, die sie verehrten, aber sie wollte nichts von ihnen wissen. Sie sprach die ganze Zeit über nur von Sir Herbert, seinem Engagement, seinen Fähigkeiten, wie er ihr geholfen habe und welche Zuneigung und Aufmerksamkeit er ihr entgegenbringe.« Ein Ausdruck der Mißbilligung legte sich über ihr Gesicht, als überrasche sie das, was sie zu sagen gedachte, nicht weniger, als es sie ärgerte, trotzdem hob sie nicht ein einziges Mal den Blick hinauf zur Anklagebank. »Sie sagte immer wieder, sie glaube, er würde all ihre Träume

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