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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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seinen Irrtum nicht noch verschlimmern.
    Nach seinem Streit mit Rathbone auf der Treppe des Gerichtsgebäudes am Vortag war Monk vor Zorn kochend nach Hause gegangen. Die Tatsache, daß er genau wußte, daß Rathbone als Anwalt, ungeachtet seiner persönlichen Ansichten über Prudence Barrymore, Sir Herbert verpflichtet war, milderte seinen Zorn keineswegs. Rathbones Loyalität hatte ungeteilt zu sein; weder Beweise noch Gefühle gestatteten es ihm, von diesem Prinzip abzuweichen.
    Trotzdem haßte er ihn für das, was er Prudence unterstellt hatte, schon der Gesichter der Geschworenen wegen, die nickend dasaßen, die Stirn runzelten und sie in einem ganz anderen Licht zu sehen begannen: weniger als Jüngerin der Dame mit der Lampe, die sich in einem fremden und gefährlichen Land um Kranke und Verzweifelte kümmerte, denn als fehlbare junge Frau, deren Träume sie um den gesunden Menschenverstand gebracht hatten.
    Aber es gab noch einen anderen Grund: An der Wurzel seines Zorns saß die Tatsache, daß sich auch in ihm die ersten Zweifel geregt hatten. Das Bild, das er sich von ihr gemacht hatte, wies bereits die ersten Trübungen auf, und sosehr er sich auch bemühte, die ehedem schlichte Kraft wollte sich einfach nicht mehr einstellen. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie Sir Herbert nun geliebt hatte oder nicht, sondern lediglich, ob ihre Verblendung so weit gegangen war, daß sie ihn so völlig mißverstanden haben konnte? Und schlimmer noch: Waren ihre medizinischen Großtaten nur erfunden? War sie tatsächlich eine jener traurigen, wenn auch verständlichen Kreaturen, die sich ihre graue Welt mit den Farben ihrer Träume ausmalen? Hatte sie sich in diese selbst erfundene Parallelwelt geflüchtet und den Rest der Welt so lange verdreht, bis er hineinpaßte?
    Er sah das schlagartig und mit erschreckender Klarheit. Wieviel von sich selbst mochte er wohl durch seinen Gedächtnisverlust verdreht sehen? War die Unkenntnis seiner Vergangenheit seine persönliche Art und Weise, Dingen zu entfliehen, die er nicht ertragen konnte? An wieviel wollte er sich wirklich erinnern?
    Anfangs hatte er leidenschaftlich gesucht. Dann, als er mehr über sich erfahren hatte, vieles davon brutal, kleinlich und selbstsüchtig, hatte er in seinem Bemühen nachgelassen. Die ganze Episode mit Hermione war schmerzlich und demütigend gewesen. Außerdem hegte er den Verdacht, daß die Gründe für Runcorns Bitterkeit nicht zuletzt bei ihm lagen. Der Mann war schwach, das war sein einziger Fehler; aber Monk hatte das all die Jahre hindurch ausgenutzt. Ein besserer Mann hätte das vielleicht nicht getan. Kein Wunder, daß Runcorn seinen endgültigen Triumph so genoß!
    Und noch während er darüber nachdachte, wußte Monk bereits, daß er die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen würde. Eine Hälfte von ihm hoffte, daß Sir Herbert unschuldig war und er Runcorn einmal mehr schlagen könnte.
    Am Morgen ging er wieder ins Krankenhaus und befragte Schwestern und Operationsassistenten noch einmal zu dem jungen Mann, den sie am Morgen von Prudence’ Tod in den Fluren gesehen hatten. Es gab keinen Zweifel daran, daß es sich um Geoffrey Taunton handelte. Er hatte es ja selbst zugegeben. Aber vielleicht hatte ihn jemand später gesehen, als er gesagt hatte. Vielleicht hatte jemand einen Streit mit angehört, der heftig genug gewesen war, um mit einer Gewalttat zu enden. Vielleicht hatte sogar jemand Nanette Cuthbertson gesehen oder eine Frau, die sie gewesen sein könnte. Ein Motiv hätte sie schließlich gehabt.
    Es nahm fast den ganzen Tag in Anspruch. Er war ziemlich gereizt und, sosehr es ihm auch mißfiel, er hörte die Ecken und Kanten in seiner Stimme, die Drohungen und den Sarkasmus in seinen Fragen. Aber seine Wut auf Rathbone, seine Ungeduld, einen Faden zu finden, irgend etwas, was zu verfolgen wäre, war stärker als sein Urteilsvermögen und alle guten Absichten.
    Um vier Uhr hatte er nichts weiter erfahren, als daß Geoffrey Taunton im Krankenhaus gewesen war, was er bereits gewußt hatte, und daß man ihn hatte weggehen sehen, mit hochrotem Gesicht und ziemlich aufgebracht. Aber Prudence Barrymore war zu diesem Zeitpunkt noch sehr lebendig gewesen. Ob er dann noch einmal zurückgekommen war und sie aufgesucht hatte, um den Streit fortzusetzen, blieb ungeklärt. Möglich war es, sicher, aber es gab keinerlei Hinweise darauf. Um genau zu sein, es deutete auch nichts darauf hin, daß er zur Gewalttätigkeit neigte. Die Art

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