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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Schwierigkeiten hatte, sie als alleiniges Motiv für die Handlungsweise eines Menschen zu akzeptieren, selbst die einer jungen Frau. Er stellte seine eigenen Worte in Frage, noch während er sie aussprach. Aber jetzt war nicht die Zeit, dem nachzugeben. Alles, was jetzt zählte, war Sir Herbert: Es galt den Geschworenen zu zeigen, daß er nicht weniger Opfer war als Prudence Barrymore selbst und daß sich seine Notlage als nicht weniger tödlich für ihn erweisen könnte. »Und fällt es Ihnen schwer zu glauben, daß sie um Sir Herbert all ihre Hoffnungen und Träume gesponnen hat?«
    Sie lächelte traurig. »Ich fürchte, sie scheint ziemlich töricht gewesen zu sein, das arme Kind! So furchtbar töricht.« Sie bedachte Mr. Barrymore, der kreidebleich und unglücklich hoch oben auf den Besucherrängen saß, mit einem ebenso zornigen wie enttäuschten Blick. Dann wandte sie sich wieder an Rathbone. »Sie hatte ein ausgezeichnetes Angebot von einem absolut geeigneten jungen Mann bei uns zu Hause, wissen Sie«, fuhr sie ernst fort. »Keiner von uns verstand, warum sie ihn nicht erhört hat.« Ihre Brauen senkten sich, und sie sah selbst wie ein verlorenes Kind aus. »Den Kopf voller absurder Träume. Völlig unmöglich, und nicht einmal erstrebenswert. Es hätte sie nie und nimmer glücklich gemacht.« Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Und jetzt ist alles zu spät. Junge Leute können mit Gelegenheiten so verschwenderisch umgehen.«
    Ein mitfühlendes Raunen ging durch den Saal. Rathbone wußte, jetzt stand alles auf Messers Schneide. Sie hatte zugegeben, daß Prudence sich eine Phantasie geschaffen hatte, daß sie die Realität mißdeutete; aber ihr Schmerz war so offensichtlich echt, daß nicht einer im Saal davon unberührt blieb. Die meisten hatten selbst Familie, eine Mutter, die sie an ihre Stelle setzen, oder ein Kind, das zu verlieren sie sich vorstellen konnten. Ging er zu zaghaft vor, dann verpaßte er womöglich seine Chance, was Sir Herbert vielleicht mit dem Leben bezahlte. War er zu grob, stieß er die Geschworenen vor den Kopf, und wiederum hätte die Kosten Sir Herbert zu tragen.
    Er mußte etwas sagen. Die Ungeduld der Leute begann sich bereits in dem Rascheln zu äußern, das rund um ihn aufkam.
    »Wir alle entbieten Ihnen nicht nur unsere Sympathie, sondern auch unser Verständnis, Madam«, sagte er klar und deutlich.
    »Wie viele von uns haben in ihrer Jugend nicht etwas fahren lassen, was so kostbar gewesen wäre. Nur daß die meisten von uns ihre Träume und Mißverständnisse nicht so teuer bezahlen mußten.« Er ging einige Schritte, wandte sich dann wieder um und sah sie von der anderen Seite her an. »Darf ich Sie noch etwas fragen? Können Sie sich vorstellen, daß sich Prudence in ihrer ungestümen Natur in Sir Herbert Stanhope verliebt haben könnte und sich, als ganz normale Frau, die sie war, mehr von ihm ersehnt haben könnte, als er ihr geben konnte?«
    Er stand mit dem Rücken zu Sir Herbert und war froh darüber.
    Er zog es vor, sein Gesicht nicht zu sehen, während er Spekulationen über solche Emotionen anstellte. Hätte er es gesehen, so hätten sich womöglich seine eigenen Gedanken dazwischengedrängt, sein eigener Zorn, seine Schuldgefühle.
    »Und daß, wie bei so vielen von uns«, fuhr er fort, »der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein könnte, er erwidere ihre Gefühle, wo er ihr in Wirklichkeit nur den Respekt und die Hochachtung entgegenbrachte, die einer engagierten und beherzten Kollegin zustanden, deren Können das der anderen Schwestern so weit überstieg?«
    »Ja«, sagte sie ausgesprochen ruhig und blinzelte heftig dabei.
    »Sie treffen es haargenau. Das törichte Mädchen. Hätte Sie nur genommen, was man ihr bot, und einen Hausstand gegründet wie jede andere auch, sie hätte so glücklich sein können! Ich habe es ihr immer wieder gesagt – aber sie wollte ja nicht hören. Mein Mann«, sie schluckte, »hat sie noch unterstützt, nicht daß er ihr schaden wollte, da bin ich sicher, aber er hat einfach nichts verstanden!« Diesmal sah sie nicht hinauf zum Balkon.
    »Ich danke Ihnen, Mrs. Barrymore«, sagte Rathbone rasch, um die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, bevor sie die Wirkung zerstörte. »Ich habe keine weiteren Fragen an Sie.«
    Lovat-Smith war schon halb aufgestanden, als er es sich anders überlegte und sich wieder setzte. Sie war verwirrt und gramgebeugt, aber sie hatte ihre unerschütterlichen Überzeugungen. Er wollte

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