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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wahr werden lassen. Sie blühte auf, wann immer sie seinen Namen aussprach.«
    Lovat-Smith stand exakt in der Mitte des Saals, seine Robe alles andere als tadellos. Er hatte kaum etwas von der Eleganz eines Rathbone, und dennoch durchpulste ihn eine verhaltene Energie, der man sich nicht entziehen konnte.
    »Schlossen Sie daraus, Miss Cuthbertson«, fragte er, »daß sie ihn liebte und daß sie glaubte, er erwidere diese Liebe und würde sie in absehbarer Zeit zu seiner Frau machen?«
    »Selbstverständlich.« Nanette machte große Augen. »Welche andere Möglichkeit hätte es sonst geben sollen?«
    »Mir würde in der Tat keine einfallen«, pflichtete Lovat-Smith ihr bei. »Waren Sie sich der Veränderung in ihrem Glauben bewußt, haben Sie bemerkt, wann ihr klar wurde, daß Sir Herbert ihre Gefühle nicht erwiderte?«
    »Nein. Nein, davon weiß ich nichts.«
    »Aha.« Lovat-Smith war fertig und entfernte sich vom Zeugenstand. Dann jedoch machte er auf dem Absatz kehrt und wandte sich ihr noch einmal zu. »Miss Cuthbertson, war Prudence Barrymore eine entschlossene, zielstrebige Frau? Verfügte sie über große Willensstärke?«
    »Aber selbstverständlich!« sagte Nanette heftig. »Wie hätte sie sich sonst ausgerechnet die Krim aussuchen können? Ich glaube, daß es dort ziemlich grauenhaft war. O gewiß, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab sie nicht mehr auf.«
    »Hätte sie Ihrer Meinung nach ihre Hoffnungen, Sir Herbert zu heiraten, aufgegeben, ohne wenigstens darum zu kämpfen?«
    »Niemals!« antwortete Nanette, noch bevor Richter Hardie eingreifen oder Rathbone protestieren konnte.
    »Mr. Lovat-Smith«, sagte Hardie ernst. »Sie suggerieren der Zeugin die Antworten, wie Sie sehr wohl wissen.«
    »Ich entschuldige mich, Euer Ehren«, sagte Lovat-Smith ohne die Spur von Reue. Er warf Rathbone einen lächelnden Seitenblick zu. »Ihre Zeugin, Mr. Rathbone.«
    »Ich danke Ihnen.« Rathbone stand auf, geschmeidig und elegant. Er ging hinüber zum Zeugenstand und sah hinauf zu Nanette. »Sosehr ich es bedaure, Madam, aber ich muß Ihnen eine ganze Reihe von Fragen stellen.« Seine Stimme war ein schönes Instrument, das er meisterhaft beherrschte. Er war höflich, ja ehrerbietig, und auf hinterhältige Art bedrohlich zugleich.
    Nanette blickte höflich und mit großen Augen auf ihn herab, ohne die geringste Vorstellung zu haben, was da kommen sollte.
    »Ich weiß, das ist Ihre Aufgabe, Sir, und ich bin absolut bereit.«
    »Sie kannten Prudence Barrymore von Kindesbeinen an, und Sie kannten sie gut«, begann Rathbone. »Sie haben uns erzählt, daß sie Ihnen viele ihrer innersten Gefühle anvertraute, was ganz natürlich ist.« Er lächelte zu ihr hinauf und entdeckte als Antwort den Hauch eines Lächelns – gerade genug, um der Höflichkeit Genüge zu tun. Sie mochte ihn nicht, was freilich an seinem Mandanten lag. »Sie haben von einem anderen Verehrer gesprochen«, fuhr er fort. »Spielten Sie damit auf Mr. Geoffrey Taunton an?«
    Eine zarte Röte bedeckte ihre Wangen, aber sie verlor keineswegs die Fassung. Sie mußte sich darüber im klaren gewesen sein, daß diese Frage nicht ausbleiben konnte.
    »Ja.«
    »Sie hielten sie also für töricht und unvernünftig, ihn nicht zu erhören?«
    Lovat-Smith kam auf die Beine. »Wir haben das Thema bereits erörtert, Euer Ehren. Die Zeugin hat das bereits gesagt. Ich fürchte, mein gelehrter Freund vergeudet in seiner Verzweiflung die Zeit des Gerichts.«
    Hardie sah Rathbone fragend an. »Mr. Rathbone, hat Ihre Frage noch einen anderen Sinn als den, Zeit zu gewinnen?«
    »Den hat sie, Euer Ehren«, antwortete Rathbone.
    »Dann fahren Sie fort«, wies Hardie ihn an.
    Rathbone neigte den Kopf und wandte sich dann wieder an Nanette. »Kennen Sie Mr. Taunton gut genug, um ihn als bewunderungswürdigen jungen Mann zu bezeichnen?«
    Wieder das zarte Rot auf ihren Wangen. Es stand ihr gut zu Gesicht, und es war durchaus möglich, daß sie das wußte. »Ja.«
    »Tatsächlich? Sie kennen also keinen Grund, warum Prudence Barrymore ihn nicht akzeptiert haben sollte?«
    »Nicht den geringsten!« Diesmal schwang in ihrer Stimme ein gewisser Trotz mit, und sie hob sogar ihr Kinn etwas an. Sie glaubte Rathbone durchschaut zu haben. Selbst im Saal ließ die Aufmerksamkeit nach. Es war langweilig, ja es war geradezu kläglich. Sir Herbert hatte sein eingangs großes Interesse verloren und machte einen besorgten Eindruck. Rathbone hatte nichts erreicht.

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