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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wieder dasselbe: Schon quälte sie sich wieder, indem sie einmal mehr den schrecklichen Gedanken aufnahm, der sie zu Prudence Barrymore und einem Mord führen würde. Der Mann, den sie kannte, konnte das nicht getan haben! Es konnte doch unmöglich alles, was sie über ihn wußte, Einbildung sein! Womöglich hatte sie falsche Schlüsse gezogen aus dem, was sie an jenem Tag gesehen hatte? Vielleicht war es bei Marianne Gillespie zu Komplikationen gekommen? Immerhin war das Kind in ihr die Frucht einer Vergewaltigung! Vielleicht hatte sie eine innere Verletzung davongetragen, die Kristian behoben hatte ohne das Kind zu töten!
    Natürlich! Das war sehr gut möglich! Sie mußte es herausfinden und ihren Ängsten ein für allemal ein Ende machen.
    Aber wie? Wenn sie ihn einfach fragte, würde sie zugeben müssen, daß sie ihn ertappt hatte – und er würde wissen, sie hatte ihn verdächtigt, ja gleich das Schlimmste vermutet.
    Und warum sollte er ihr die Wahrheit sagen? Sie konnte ihn wohl kaum um einen Beweis bitten! Allein die Frage würde ihre Verbundenheit für immer zerstören – und diese war ihr, so zart und zur Hoffnungslosigkeit verurteilt sie auch sein mochte, das teuerste auf der Welt.
    Aber ihre Angst und die häßlichen Zweifel ruinierten sie so oder so. Es war ihr unmöglich, seinem Blick zu begegnen oder sich so natürlich mit ihm zu unterhalten wie früher. Die alte Ungezwungenheit, das Vertrauen und das Lachen waren dahin.
    Sie mußte ihn sehen. Was immer sie herausfinden mochte, sie mußte Klarheit haben.
    Gelegenheit dazu ergab sich an dem Tag, an dem Lovat-Smith die Beweisaufnahme der Staatsanwaltschaft abschloß. Sie hatte sich gerade für einen mittellosen Mann eingesetzt, den man eben eingeliefert hatte, und den Verwaltungsrat davon überzeugt, daß er bedürftig sei und die Behandlung verdiene. Kristian Beck war der ideale Arzt für ihn. Der Fall war zu kompliziert für die Studenten, und die anderen Ärzte waren vollauf beschäftigt; und Sir Herbert stand nicht zur Verfügung, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit – wenn nicht auf immer.
    Von Mrs. Flaherty wußte sie, daß Kristian in seinen Räumen war. Sie ging hin und klopfte an seine Tür, ihr Herz schlug so wild, daß sie am ganzen Körper zu zittern glaubte. Ihr Mund war trocken. Sie wußte, sie würde ins Stottern geraten, wenn sie den Mund aufmachte.
    Sie hörte seine Stimme, die sie zum Eintreten aufforderte, und mit einemmal war ihr danach wegzulaufen, aber ihre Beine wollten sich nicht bewegen.
    Er wiederholte seine Aufforderung. Diesmal schob sie die Tür auf und trat ein.
    Sein Gesicht leuchtete auf vor Freude, kaum daß er sie sah; er stand auf. »Callandra! Treten Sie ein, treten Sie ein! Ich habe Sie seit Tagen nicht zu Gesicht bekommen.« Seine Augen wurden schmal, als er sie näher ansah. Sein Blick hatte jedoch nichts Kritisches, nur eine Sanftheit, die ihre Sinne unter dem Ansturm ihrer Gefühle ins Taumeln gerieten ließ. »Sie sehen müde aus, meine Liebe. Geht es Ihnen nicht gut?«
    Sie wollte ihm schon die Wahrheit sagen, wie immer, vor allem ihm, aber er bot ihr das perfekte Schlupfloch.
    »Vielleicht nicht so gut, wie ich es gern hätte. Aber es ist nichts Ernstes.« Ihre Worte kamen wie ein Sturzbach, ihre Zunge verhedderte sich. »Jedenfalls brauche ich keinen Arzt. Das vergeht schon wieder.«
    »Sind Sie sicher?« Er sah sie besorgt an. »Wenn Sie lieber einen anderen Arzt konsultieren, fragen Sie Allington. Er ist ein guter Mann, und er ist heute im Haus.«
    »Wenn es nicht vergeht«, log sie. »Aber ich bin wegen eines Mannes hier, der heute eingeliefert wurde und mit Sicherheit Ihrer Hilfe bedarf.« Sie schilderte ihm das Problem und hörte dabei ihre eigene Stimme wie die einer Fremden.
    Nach einigen Augenblicken hielt er eine Hand hoch. »Ich verstehe, ich werde ihn mir ansehen. Sie brauchen mich nicht zu überreden.« Wieder musterte er sie eingehend. »Macht Ihnen etwas Sorgen, meine Liebe? Sie sind ja ganz aufgelöst. Haben wir nicht genügend Vertrauen zueinander, daß Sie mir nicht gestatten wollen, Ihnen zu helfen?«
    Es war eine offene Aufforderung, und sie wußte, wenn sie sich jetzt weigerte, würde sie nicht nur die Tür schließen, die beim nächsten Mal noch schwieriger zu öffnen wäre, sie würde ihn auch verletzen. Seine Gefühle waren ihm an den Augen abzulesen – ihr hätte das Herz hüpfen sollen vor Freude.
    Jetzt erstickten ihr die zurückgehaltenen Tränen die Stimme. Die Einsamkeit

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