Im Schatten der Gerechtigkeit
noch kontrollieren konnte, hatten ihn mit fortgerissen und drohten ihn zu vernichten.
»Könnte es sich um einen bösartigen Streich handeln?« fragte Rathbone verzweifelt. »Leute schreiben die merkwürdigsten Dinge in ihr Tagebuch. Könnte sie Ihren Namen benutzt haben, um jemand anderen zu decken?«
Sir Herbert sah ihn bestürzt an, dann hellte ein Hoffnungsschimmer sein Gesicht auf. »Das ist vorstellbar, ja! Aber ich habe keine Ahnung, wen! Ich wünschte bei Gott, ich wüßte es! Aber warum sollte sie so etwas tun? Sie schrieb ihrer Schwester. Sie kann doch nicht damit gerechnet haben, daß ihre Briefe jemals an die Öffentlichkeit gelangen würden.«
»Vielleicht der Mann ihrer Schwester?« schlug Rathbone vor und wußte noch im selben Augenblick, wie dumm das war.
»Eine Affäre mit ihrem Schwager?« Sir Herbert war schockiert und skeptisch zugleich.
»Ach was«, entgegnete Rathbone ungeduldig. »Es bestand die Möglichkeit, daß ihr Schwager die Briefe las! Es soll ja schon vorgekommen sein, daß ein Mann die Briefe seiner Frau liest!«
»Oh!« Sir Herberts Gesicht klärte sich auf. »Ja, natürlich. Das wäre doch völlig normal. Ich habe das selbst schon hin und wieder getan. Ja – das ist eine Erklärung! Sie müßten herausfinden, wer der Mann ist, den sie meint! Was ist mit diesem Monk? Kann er ihn nicht finden?« Dann schwand die Ungezwungenheit des Augenblicks auch schon wieder dahin.
»Aber uns bleibt so wenig Zeit! Können Sie keine Vertagung erwirken, einen Aufschub oder wie immer Sie das nennen?«
Rathbone antwortete nicht. »Es gibt mir viel mehr Munition für meine Befragung von Mrs. Barber«, sagte er statt dessen. Dann fiel ihm mit einem eiskalten Schauder ein, daß es Faith Barber gewesen war, die Monk die Briefe gegeben hatte, in der Überzeugung, Sir Herbert daraufhin hängen zu sehen. Was immer Prudence gemeint hatte, ihre Schwester war sich eines Geheimnisses in diesen Briefen nicht bewußt. Er bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen, wußte jedoch, daß es ihm nicht gelang.
»Das ist doch eine Erklärung!« sagte Sir Herbert verzweifelt und mit geballten Fäusten, die ausgeprägten Kiefer fest aufeinandergepreßt. »Gott verdammt noch mal – ich hatte nicht das geringste persönliche Interesse an dieser Frau! Nie habe ich auch nur ein Wort gesagt, das…« Mit einemmal überfiel ihn blankes Entsetzen. »Großer Gott!« Mit tödlichem Schrecken in den Augen sah er Rathbone an.
Rathbone, der fast wieder zu hoffen wagte, wartete ab.
Sir Herbert schluckte. Er versuchte zu sprechen, aber seine Lippen waren zu trocken. Er versuchte es erneut. »Ich habe ihre Arbeit gelobt! Ich habe sie über den grünen Klee gelobt. Glauben Sie, sie könnte das als Bewunderung für ihre Person mißverstanden haben? Daß ich sie so oft gelobt habe!« Die Angst trieb ihm einen dünnen Schweißfilm auf Oberlippe und Stirn. »Sie war die beste Schwester, die ich je gehabt habe. Sie war intelligent, lernte schnell, führte Anordnungen präzise aus und war dennoch nicht ohne Initiative. Sie war immer makellos sauber. Sie beklagte sich nie über Überstunden, und sie kämpfte wie eine Tigerin um jedes Leben.« Sein Blick ruhte fest in Rathbones. »Aber ich schwöre Ihnen, bei Gott, mein Lob war nie persönlich gemeint – nur so, wie ich es sagte! Nicht mehr und nicht weniger!« Er legte den Kopf in die Hände. »Gott bewahre mich davor, mit jungen Frauen zu arbeiten – jungen Frauen aus gutem Hause, die Verehrer erwarten und geheiratet werden wollen!«
Rathbone hatte schreckliche Angst, sein Wunsch könnte sich erfüllen und er würde mit überhaupt niemandem mehr arbeiten – auch wenn er bezweifelte, daß Gott etwas damit zu tun hatte.
»Ich tue, was ich kann«, sagte er mit einer Stimme, die weit fester und zuversichtlicher klang, als er sich fühlte. »Verlieren Sie nicht den Mut. Wir haben weit mehr als einen berechtigten Zweifel, und Ihre Haltung ist unser größtes Plus. Geoffrey Taunton ist noch lange nicht aus dem Schneider, auch Miss Cuthbertson nicht. Und dann gibt es noch andere Möglichkeiten – Kristian Beck zum Beispiel.«
»Ja.« Sir Herbert stand langsam auf und zwang sich wieder Haltung anzunehmen. Die Jahre unbarmherziger Selbstdisziplin bezwangen seine Panik schließlich. »Aber ein Freispruch aufgrund berechtigter Zweifel! Um Himmels willen – meine Karriere wäre ruiniert!«
»Es muß ja nicht für immer sein«, sagte Rathbone absolut aufrichtig. »Wenn man Sie
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