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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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freispricht, bleibt der Fall offen. Womöglich dauert es gar nicht lange, einige Wochen vielleicht, bis man den wirklichen Mörder findet.«
    Aber sie wußten beide, daß selbst »berechtigte Zweifel« erst erkämpft werden mußten, um Sir Herbert vor dem Galgen zu retten – und sie hatten nur noch wenige Tage Zeit.
    Rathbone hielt ihm eine Hand entgegen. Eine Geste des Vertrauens. Sir Herbert schüttelte sie und hielt sie etwas länger als nötig, als wäre sie eine Rettungsleine. Er zwang sich zu einem Lächeln, das mehr Mut zeigte als Zuversicht.
    Als Rathbone ging, war sein Entschluß zu kämpfen größer denn je.
    Nach seiner Aussage verließ Monk das Gerichtsgebäude; sein Magen war in Aufruhr, sein Körper vor Zorn ganz verspannt. Daß er nicht wußte, gegen wen er ihn richten sollte, machte den Schmerz noch schlimmer. Sollte Prudence tatsächlich so blind gewesen sein? Es widerstrebte ihm, sie mit einem solchen Mangel zu sehen. Es paßte so gar nicht zu der Frau, um die er in der überfüllten Kirche in Hanwell getrauert hatte. Sie war tapfer gewesen und edel, und allein von ihr gehört zu haben, hatte eine kathartische Wirkung auf ihn gehabt. Er hatte ihre Träume verstanden, ihren grimmigen Kampf und den Preis, den sie dafür bezahlt hatte. Irgend etwas in ihm hatte sich mit ihr verbunden gefühlt.
    Er überquerte die Newgate Street, ohne auf scheuende Pferde und fluchende Kutscher zu achten. Ein leichtes Gig konnte ihm eben noch ausweichen. Dann überrollte ihn beinahe ein schwarzer Landauer; der Lakai auf dem Trittbrett bedachte Monk mit einem Schwall von Unflätigkeiten.
    Ohne einen bewußten Entschluß schlug Monk die Richtung zum Krankenhaus ein und rief, nachdem er zwanzig Minuten lang forsch ausgeschritten war, einen Hansom, in dem er den Rest des Weges zurücklegte. Er wußte nicht, ob Hester Dienst hatte oder im Schwesternsaal war, um etwas dringend benötigten Schlaf nachzuholen. Und wenn er ehrlich sein wollte, es war ihm egal. Sie war die einzige, der er seine Verwirrung, seine übermächtigen Gefühle anvertrauen konnte.
    Wie der Zufall es so wollte, war sie eben eingeschlafen. Sie hatte eine lange Schicht hinter sich, die noch vor sieben begonnen hatte. Da er wußte, wo der Schlafsaal war, schritt er mit solcher Autorität darauf zu, daß niemand ihn aufzuhalten wagte, bis er vor die Tür kam. Vor dieser, genau in der Mitte, stand eine große Schwester mit rotem Haar und Armen wie ein Kanalarbeiter und starrte ihn grimmig an.
    »Ich muß in einer dringenden Angelegenheit Miss Latterly sprechen«, sagte er, ihren funkelnden Blick erwidernd. »Ein Leben könnte davon abhängen.« Was natürlich eine Lüge war, die ihm jedoch, ohne daß er mit einer Wimper gezuckt hätte, über die Lippen kam.
    »Ach ja? Wem sein’s denn? Ihr’s?«
    Er fragte sich, was sie wohl von Sir Herbert Stanhope gehalten hatte. »Geht Sie nichts an«, sagte er beißend. »Ich komme eben aus dem Old Bailey, und ich habe hier etwas Geschäftliches zu erledigen. Und jetzt gehen Sie mir aus dem Weg oder holen Sie Miss Latterly.«
    »Von mir aus kommen Sie aufm Besenstil aus der Hölle, Sir, hier jedenfalls kommen Sie nicht rein.« Sie verschränkte die mächtigen Arme vor der Brust. »Ich wird’ ihr sagen, daß Sie da sin’, wenn Sie mir sagen, wer Sie sin’. Dann kann sie ja rauskommen, sollt’ ihr danach sein.«
    »Monk!«
    »Sie und ein Mönch!« sagte sie und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
    »Das ist mein Name, nicht mein Beruf, Sie Dummkopf! Und jetzt sagen Sie Hester, daß ich hier bin!«
    Sie schnaubte laut, gehorchte jedoch, und kaum drei Minuten später kam Hester heraus, die sich rasch etwas übergezogen hatte; sie sah müde aus und trug das Haar in einem langen braunen Zopf auf der Schulter. Er hatte ihr Haar noch nie so gesehen und war richtiggehend bestürzt: Sie sah ganz anders aus, jünger und verletzlicher. Er hatte ein schlechtes Gewissen, sie wegen eines im Grunde selbstsüchtigen Anliegens aus dem Bett geholt zu haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte es nicht den geringsten Einfluß auf Sir Herberts Schicksal, ob er nun mit ihr sprach oder nicht.
    »Was ist passiert?« fragte sie sofort, noch viel zu schläfrig und erschöpft, um auf all die Möglichkeiten zu kommen, die ihr hätten angst machen können.
    »Nichts Besonderes«, sagte er und nahm sie beim Arm, um sie von der Tür des Schlafsaals wegzuziehen. »Ich weiß noch nicht einmal, ob es gut oder schlecht läuft. Ich hätte nicht kommen

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