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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sollen, aber es gab sonst keinen, mit dem ich darüber sprechen wollte. Lovat-Smith hat die Beweisaufnahme abgeschlossen, und ich möchte wirklich nicht an Stanhopes Stelle sein. Aber andererseits ist auch Geoffrey Taunton schlecht weggekommen. Er hat ein aufbrausendes Temperament und wäre nicht zum erstenmal gewalttätig geworden. Und er war zum fraglichen Zeitpunkt hier. Aber es sitzt nun mal Stanhope auf der Anklagebank, und bisher ist nichts überzeugend genug, um sie die Plätze tauschen zu lassen.«
    Sie standen vor einem der wenigen Fenster im Korridor, und die Spätnachmittagssonne hüllte sie in einen dunstigen Schleier.
    »Hat Oliver denn irgendwelche Beweise vorzubringen, wissen Sie das?« Sie war zu müde, um, was Rathbone anbelangte, auf Förmlichkeiten zu achten.
    »Nicht daß ich wüßte. Ich fürchte, mit dem war ich etwas grob. Seine Verteidigung zielt darauf ab, Prudence als Idiotin hinzustellen.« Noch immer spürte er die geballte Kraft von Schmerz und Zorn.
    »Wenn sie tatsächlich der Ansicht gewesen ist, Sir Herbert Stanhope würde sie heiraten, dann war sie das auch«, sagte Hester, aber mit einer solchen Traurigkeit in der Stimme, daß er ihr unmöglich böse sein konnte.
    »Außerdem ließ er durchblicken, sie hätte ihre medizinischen Fähigkeiten überschätzt«, fuhr er fort. »Und daß ihre Geschichten über ihre Operationen im Krieg nichts als Märchen gewesen seien.«
    Sie wandte sich ihm zu und starrte ihn an; ihre Verwirrung verwandelte sich in Zorn. »Das ist nicht wahr! Sie kannte sich mit Amputationen sehr gut aus, besser als die meisten der Sanitätsoffiziere dort. Ich werde aussagen! Ich werde das beeiden, und mich werden die nicht erschüttern, weil ich es nämlich selbst gesehen habe!«
    »Können Sie aber nicht«, sagte er, das schale Gefühl der Niederlage im Ton.
    »Und ob ich das kann!« entgegnete sie wütend. »Und lassen Sie endlich meinen Arm los! Ich stehe ganz gut alleine! Ich bin nur müde, nicht krank!«
    Er ließ sie aus purer Halsstarrigkeit nicht los. »Sie können nicht aussagen, weil Lovat-Smith die Beweisaufnahme abgeschlossen hat«, sagte er mit verhaltenem Zorn. »Und Rathbone wird Sie sicher nicht aufrufen! Daß sie eine akkurate und realistische Person war, will der nicht hören. Es würde Sir Herbert an den Galgen bringen!«
    »Vielleicht sollte man ihn ja hängen!« sagte sie scharf, bedauerte es jedoch sofort. »War nicht so gemeint. Ich meine, vielleicht hat er sie ja umgebracht. Zuerst habe ich es gedacht, dann wieder nicht, und jetzt weiß ich nicht mehr.«
    »Rathbone scheint noch immer davon überzeugt, daß er es nicht gewesen ist; und ich muß zugeben, sehe ich mir das Gesicht des Mannes an, wenn er so auf der Anklagebank sitzt, kann ich es mir selbst schwerlich vorstellen. Es scheint einfach keinen Grund zu geben – nicht wenn Sie Ihren Verstand benutzen. Und er wird ein ausgezeichneter Zeuge sein. Jedesmal, wenn von Prudence’ Schwärmerei für ihn die Rede ist, macht er ein Gesicht, als könne er es einfach nicht glauben.«
    Sie starrte ihn an und begegnete seinem Blick mit offener Neugier. »Sie glauben ihm, nicht wahr?« schloß sie daraus.
    »Ja – so sehr es mich ärgert, es einzugestehen.«
    »Dann müssen wir allerdings noch konkretere Hinweise auf den wirklichen Mörder beibringen. Sonst wird man ihn hängen«, warf sie ein, aber in ihrer Stimme klangen jetzt Mitgefühl und Entschlossenheit an.
    Er erinnerte sich, und die Erinnerung an ihr leidenschaftliches Engagement für ihn führte zu einem wohligen Schauder.
    »Ich weiß«, sagte er grimmig. »Und das rasch. Aber was Geoffrey Taunton anbelangt, will mir einfach nichts mehr einfallen. Ich werde Dr. Beck noch mal auf den Zahn fühlen. Haben Sie über ihn etwas in Erfahrung gebracht?«
    »Nein«, sie wandte sich ab, ihr Gesicht traurig und verletzlich. Das Licht fing sich auf ihren Backenknochen und betonte die Müdigkeit um ihre Augen. Er wußte nicht, was sie so schmerzte; sie hatte sich ihm nicht anvertraut. Er war nur überrascht, wie weh es tat, daß sie ihn ausgeschlossen hatte. Er war wütend über das Gefühl, ihr die Doppelbelastung von Detektivarbeit und Krankenpflege ersparen zu wollen, aber am wütendsten machte ihn, daß ihn das so aufbrachte. Das sollte es nicht. Es war absurd – und schwach!
    »Tja, was treiben Sie dann hier?« fragte er grob. »Während der ganzen Zeit müssen Sie doch mehr getan haben, als Fäkalieneimer auszuleeren und Bandagen zu rollen? Um

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