Im Schatten der Gerechtigkeit
Sie.«
»Ich fürchte freilich, es wird Ihnen nicht gefallen«, fügte Edith hinzu, die sich mit ernster Miene ihr gegenübersetzte.
»Tut mir wirklich leid.«
Hester war verwirrt. »Sie haben nichts herausgefunden?« Das war wohl kaum genug Grund für eine Nachricht.
»Wir haben etwas herausgefunden.« fetzt machte auch der Major einen verwirrten Eindruck, aber sein fragender Blick richtete sich auf Edith. Nur am Rande bemerkte Hester die tiefe Zuneigung darin.
»Ich weiß, daß sie uns darum gebeten hat«, sagte Edith geduldig. »Aber Dr. Beck ist ihr nun mal sympathisch.« Sie wandte sich wieder an Hester. » Sie werden es nicht gern hören, aber man hat ihm vorgeworfen, zwei junge Damen falsch behandelt zu haben, die daraufhin gestorben sind. In beiden Fällen waren sich die Eltern völlig sicher, mit ihnen sei alles in Ordnung gewesen. Dr. Beck hätte völlig unnötige Operationen vorgenommen, und das so stümperhaft, daß sie verblutet sind. Beide Väter haben ihn verklagt, aber verloren. Man hatte nicht genügend Beweise.«
Hester wurde schlecht. »Wo? Wo ist das passiert? Doch sicher nicht, seit er hier im Königlichen Spital ist?«
»Nein«, pflichtete Edith ihr bei, ihr neugieriges Gesicht mit der Adlernase und dem sanften, schiefen Mund voller Traurigkeit. »Das erste Mal war es im Norden, in Alnwick, gleich an der schottischen Grenze, das zweite Mal in Somerset. Ich wollte, ich könnte Ihnen etwas Besseres sagen.«
»Sind Sie sicher, daß er es war?« Es war eine törichte Frage, aber sie mußte nach jedem Strohhalm greifen. Sie dachte nur an Callandra.
»Könnte es zwei Chirurgen aus Böhmen namens Kristian Beck geben?« sagte Edith ruhig.
Der Major sah Hester besorgt an. Er wußte nicht, warum sie das so schmerzte, aber zu seinem Leidwesen mußte er feststellen, daß dem so war.
»Wie haben Sie das herausgefunden?« fragte Hester. Die Frage änderte zwar nichts an der Realität, aber allein sie zu stellen, schob ihre Endgültigkeit hinaus.
»Ich habe mich mit der Bibliothekarin einer Zeitung angefreundet«, antwortete Edith. »Sie kümmert sich um das Archiv. Sie hat mir sehr geholfen, die Einzelheiten diverser Begebenheiten aus den Memoiren des Majors nachzuprüfen, also habe ich sie auch in diesem Fall um Hilfe gebeten.«
»Ich verstehe.« Sie wußte nicht, was sie sonst noch hätte fragen sollen. Das war es also, was Prudence der Krankenhausleitung hatte mitteilen wollen. Nur daß Beck sie zuvor umgebracht hatte.
Dann kam ihr noch ein weit häßlicherer Gedanke. War es möglich, daß Callandra das bereits wußte? Sah sie deshalb in letzter Zeit so abgehärmt aus? Sie war doch fast verrückt vor Angst – und dem schlechten Gewissen darüber, es zu verschweigen!
Edith und der Major sahen sie beide an; beider Mienen drückten deutlich ihre Besorgnis aus. Offensichtlich sah man ihr ihre Gedanken an. Aber Hester konnte ihnen nichts sagen ohne Callandra zu verraten.
»Wie kommen Sie denn mit den Memoiren voran?« fragte sie und rang sich ein Lächeln ab; zu jeder anderen Zeit wäre ihr interessierter Blick aufrichtig gewesen.
»Oh, wir sind so gut wie fertig«, antwortete Edith, deren Gesicht sofort wieder zu leuchten begann. »Mit den Indien-Erlebnissen sind wir durch, und Sie werden nicht glauben, was in Afrika alles passiert ist! Es war wirklich die aufregendste Erfahrung meines Lebens. Sie müssen sie unbedingt lesen, wenn wir fertig sind…« Als ihr langsam dämmerte, was das für sie bedeutete, verschwand etwas von dem Leuchten aus ihrem Gesicht. Edith hatte keine Möglichkeit gehabt, die erdrückende Atmosphäre des Elternhauses zu verlassen. Ihre Eltern waren der Ansicht, nach dem vorzeitigen Tod ihres Gatten bliebe ihr nichts anderes, als den Rest ihres Lebens allein zu verbringen, was bedeutete, daß sie finanziell von ihrem Vater abhängig war und gesellschaftlich von den Launen ihrer Mutter. Sie hatte ihre Chance auf eine Ehe gehabt; eine weitere stand einer Frau nicht zu. Ihre Familie hatte ihre Pflicht getan, indem sie für einen Gatten gesorgt hatte; das Pech, daß er so früh gestorben war, teilte sie mit vielen anderen Frauen. Sie hatte es mit Anstand zu akzeptieren. Die Tragödie um den Tod ihres Bruders dagegen hatte eine häßliche Vergangenheit aufgerissen, die noch lange nicht überwunden war, wozu es womöglich auch nie kommen würde. Der Gedanke, wieder in Carlyon House leben zu müssen, konnte sogar einem herrlichen Sommertag wie diesem den Glanz nehmen.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher