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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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    »Selbstverständlich«, unterbrach er sie abermals, »war sie Ihre Schwester. Sie denken so etwas nicht gern von ihr. Aber ich halte es trotzdem für unwiderlegbar. Ich danke Ihnen. Ich habe keine weiteren Fragen.«
    Rathbone stand wieder auf. Es herrschte Totenstille im Saal. Selbst im Publikum bewegte sich nichts. Kein Stoff raschelte, kein Stiefel knarrte, kein Bleistift kratzte.
    »Mrs. Barber, Prudence ging auf die Krim ungeachtet der Ängste Ihrer Mutter und der Ihren. Aus Ihren Worten ging nicht hervor, ob sie Sie auf die eine oder andere Weise gezwungen oder ob sie Ihnen durchaus freundlich gesagt hat, daß sie zu gehen wünsche und sich das nicht mehr ausreden lassen wollte?«
    »Oh, letzteres, Sir, ganz entschieden«, sagte Faith rasch. »Sie war einfach nicht davon abzubringen!«
    »Hat sie Sie zu überzeugen versucht?«
    »Ja, natürlich – sie glaubte, es sei das Richtige. Sie wollte ihr Leben dem Dienst an Kranken und Verwundeten widmen. Welchen Preis sie dafür bezahlen mußte, spielte keine Rolle. Sie sagte immer wieder, sie würde lieber für etwas Großes sterben, als in Bequemlichkeit achtzig zu werden – und an der eigenen Nutzlosigkeit zu sterben!«
    »Das hört sich nicht besonders rücksichtslos an«, sagte Rathbone sehr liebenswürdig. »Sagen Sie, Mrs. Barber, scheint es Ihnen mit dem Charakter dieser Frau vereinbar – und auch mein sehr verehrter Kollege stimmt mit mir überein, daß Sie sie gut kannten –, daß sie einen Mann durch Erpressung in eine Ehe zu zwingen versuchte?«
    »Es ist völlig ausgeschlossen«, sagte sie vehement. »Das ist nicht nur schäbig und kleinlich, etwas, das in absolutem Widerspruch zu ihrem Charakter steht, es ist auch so dumm! Und was immer Sie von ihr glauben mögen, das hat nun wirklich nie jemand von ihr behauptet!«
    »In der Tat nicht«, pflichtete Rathbone ihr bei. »Ich danke Ihnen, Mrs. Barber. Das ist alles.«
    Richter Hardie beugte sich vor. »Es wird langsam spät, Mr. Rathbone. Wir werden die Schlußplädoyers morgen hören. Das Gericht vertagt sich.«
    Ein Aufatmen ging durch den Saal, dann brach der Sturm los, als die Journalisten sich darum drängten, so schnell wie möglich in ihre Redaktionen zu kommen.
    Oliver Rathbone hatte es nicht bemerkt, aber Hester war die letzten drei Stunden im Saal gewesen und hatte Faith Barbers Aussage mitbekommen. Als Richter Hardie die Sitzung vertagte, hätte sie gern mit Rathbone gesprochen, aber dieser verschwand in einem der vielen Büros, und da sie ihm nichts Spezielles zu sagen hatte, wäre sie sich dumm vorgekommen, auf ihn zu warten.
    Also ging sie. Sie ließ sich durch den Kopf gehen, was sie eben gehört hatte, ihre eigenen Eindrücke von der Stimmung der Geschworenen, von Sir Herbert Stanhope und Lovat-Smith. Sie war gehobener Stimmung. Selbstverständlich war nichts entschieden, bevor nicht der Urteilsspruch vorlag, aber sie war sich so gut wie sicher, daß Rathbone gewonnen hatte. Das einzige Problem war, daß man noch immer weit davon entfernt war, Prudence’ wahren Mörder zu entlarven. Und das weckte in ihr sofort wieder den schmerzlichen Gedanken an Kristian Beck. Sie hatte nie richtig nachgeforscht, was eigentlich in der Nacht vor Prudence’ Tod passiert war.
    Sie stieg eben die breite weiße Steintreppe hinab auf die Straße, als sie Faith Barber mit unglücklichem Gesichtsausdruck auf sich zukommen sah.
    Hester trat auf sie zu. »Mrs. Barber…«
    Faith blieb wie angewurzelt stehen. »Ich habe nichts zu sagen. Lassen Sie mich bitte in Ruhe!« Hester brauchte einen Augenblick, bis ihr klar wurde, für wen Faith Barber sie hielt.
    »Ich bin eine Krimschwester«, sagte sie auf der Stelle, sämtliche Erklärungen umgehend. »Ich kannte Prudence, nicht gut, aber ich habe mit ihr auf dem Schlachtfeld gearbeitet. Ich kannte sie jedenfalls gut genug, um zu wissen, daß sie weder Sir Herbert noch sonst jemanden durch Erpressung in eine Ehe gezwungen hätte. Vor allen Dingen kann ich mir nicht vorstellen, daß sie überhaupt heiraten wollte! Sie schien völlig der Medizin ergeben. Ehe und Familie waren wohl das letzte, was sie sich gewünscht hat. Sie hat immerhin Geoffrey Taunton abgewiesen, den sie, wie ich glaube, ganz gern hatte.«
    Faith starrte sie an. »Sie waren dabei?« fragte sie schließlich.
    »Wirklich?«
    »Im Krimkrieg? Ja.«
    Faith stand reglos da. Um sie herum, in der Nachmittagssonne, standen Leute und diskutierten, tauschten hitzig Neuigkeiten und Meinungen aus.

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