Im Schatten der Gerechtigkeit
Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dafür sorgen könnten, daß das Kind hier nicht unabsichtlich eine Hysterie auslöst, indem sie mit anderen darüber spricht. Es wird früh genug bekannt werden. In der Zwischenzeit wäre es jedoch besser, sich darauf vorzubereiten.«
Mrs. Flaherty sah sie erschreckt an. »Keines natürlichen Todes? Was soll das heißen?«
Aber Callandra hatte nicht vor, die Angelegenheit noch weiter zu diskutieren. Sie lächelte kurz und machte sich dann, ohne zu antworten, auf den Weg; in zorniger Verwirrung starrte Mrs. Flaherty ihr hinterher.
Sir Herbert Stanhope war im Operationssaal und hatte dort offensichtlich noch eine ganze Weile zu tun. Da die Angelegenheit jedoch nicht warten konnte, öffnete sie einfach die Tür und trat ein. Es war nicht gerade ein Saal, ein Instrumententisch auf der anderen Seite beanspruchte den größten Teil des Raums, und es befanden sich bereits mehrere Leute dort. Zwei Praktikanten assistierten, um etwas zu lernen, ein dritter, etwas älter als sie, kümmerte sich um die Lachgasflaschen und überwachte die Atmung der Patientin. Eine Schwester stand dabei, um die gewünschten Instrumente zu reichen. Die Patientin lag besinnungslos auf dem Tisch, das Gesicht weiß, der Oberkörper nackt, eine halbgeschlossene Wunde an der Brust. Sir Herbert stand an ihrer Seite, eine Nadel in der Hand, Blut an Hemdsärmeln und Unterarmen.
Alle starrten Callandra an.
»Was tun Sie hier, Madam?« verlangte Sir Herbert zu wissen.
»Sie können doch nicht einfach in eine Operation platzen! Würden Sie bitte auf der Stelle gehen!«
Sie hatte einen Empfang dieser Art erwartet und war deshalb nicht weiter überrascht.
»Es gibt da etwas, was nicht warten kann, bis Sie fertig sind, Sir Herbert«, antwortete sie.
»Holen Sie einen der anderen Ärzte!« fuhr er sie an und wandte sich wieder seinen Stichen zu.
»Bitte achten Sie darauf, was ich mache, meine Herren«, fuhr er, an die Praktikanten gewandt, fort. Offensichtlich nahm er an, daß Callandra den Hinauswurf akzeptieren und anstandslos gehen würde.
»Hier im Hospital ist jemand ermordet worden, Sir Herbert«, sagte Callandra laut und deutlich. »Wollen Sie, daß ich die Polizei informiere, oder würden Sie das lieber selbst übernehmen?«
Er erstarrte, seine Hände mit der Nadel noch in der Luft. Trotzdem sah er sie nicht an. Die Schwester sog lautstark die Luft ein. Einer der jungen Ärzte gab einen würgenden Ton von sich und griff nach der Tischkante.
»Seien Sie nicht albern!« fuhr Sir Herbert sie an. »Sollte ein Patient unerwarteterweise gestorben sein, so werde ich mich darum kümmern, wenn ich hier fertig bin.« Langsam wandte er sich Callandra zu. Er schien anzunehmen, daß die falsche Diagnose eines Arztes den Tod herbeigeführt hatte, was natürlich kein Fall für die Polizei war. Er war blaß im Gesicht und hatte einige Zornesfalten zwischen den Brauen.
»Eine der Schwestern wurde erwürgt und in den Wäscheschacht gesteckt«, sagte Callandra langsam und sehr deutlich. »Es handelt sich ohne Frage um ein Verbrechen, und wenn Sie hier nicht abkömmlich sind, um die Polizei zu rufen, so werde ich das für Sie übernehmen. Die Leiche bleibt, wo sie ist. Dr. Beck sorgt dafür, daß sie niemand berührt.«
Mit einem scharfen Zischen sog er die Luft zwischen die Zähne. Einer der Medizinstudenten stieß einen Fluch aus.
Sir Herbert senkte die Hände, noch immer die blutige Nadel mit dem langen Faden in der einen. Mit leuchtenden Augen, das Gesicht verspannt, wandte er sich Callandra zu.
»Eine der Schwestern?« wiederholte er ganz langsam. »Sind Sie sicher?«
»Selbstverständlich bin ich sicher«, antwortete Callandra. »Es ist Schwester Barrymore.«
»Oh.« Er zögerte. »Das ist ja schrecklich. Ja, dann rufen Sie die Polizei, unbedingt. Ich werde das hier zu Ende bringen und zur Verfügung stehen, wenn sie kommt. Besser, Sie nehmen einen Wagen, als einen Boten zu schicken, und seien Sie um Himmels willen diskret. Wir wollen hier keine Panik. Die Kranken werden darunter leiden.« Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Wer weiß außer Dr. Beck sonst noch davon?«
»Mrs. Flaherty, die Waschfrauen und eines der Putzmädchen, das ich aus diesem Grund in Mrs. Flaherty’s Obhut gegeben habe.«
»Gut.« Seine Miene entspannte sich etwas. »Dann fahren Sie besser sofort los. Ich dürfte wohl fertig sein, wenn Sie wieder zurück sind.« Er entschuldigte sich nicht, weder dafür, ihr nicht gleich zugehört zu
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