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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eintrafen, hatte sich die Nachricht trotz Mrs. Flahertys Bemühungen bis in den letzten Winkel verbreitet. Der Kaplan kam herbeigeeilt, mit fliegenden Rockschößen und großen erschreckten Augen. Als ihm schließlich klar wurde, wer Jeavis war, nahm er sich eiligst zusammen, murmelte etwas, was keiner verstand, stieß einen hastigen Fluch aus und machte sich, das Gebetbuch in der Hand, wieder davon.
    Eine junge Krankenschwester starrte sie fragend an, bevor sie sich wieder an ihre Aufgaben machte. Der Kämmerer, voller böser Ahnungen, schüttelte den Kopf und geleitete sie zu Sir Herberts Räumen.
    Sir Herbert empfing sie an der Tür, die er weit genug öffnete, um ihnen einen Blick auf ein geschmackvolles Interieur mit einem preußischblauen Teppich und auf Hochglanz poliertem Holz zu gestatten, durch das Südfenster fiel ein breiter Sonnenstrahl in den Raum.
    »Guten Tag, Inspektor«, sagte er ernst. »Bitte, kommen Sie doch herein, und ich gebe Ihnen alle Informationen, die ich über die Angelegenheit habe. Ich danke Ihnen, Lady Callandra. Sie haben sich Ihrer Pflichten in exzellenter Weise entledigt. Wirklich, Sie haben weit mehr getan als nur Ihre Pflicht, und wir sind Ihnen alle sehr verbunden.« Er wies Jeavis und Evan in den Raum, blockierte Callandra jedoch gleichzeitig den Weg. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Entlassung zu akzeptieren und in die Waschküche zurückzukehren, um zu sehen, ob Kristian noch bei der Leiche war.
    Das mächtige Kellergewölbe war wieder voller Dampf, die Kupferrohre klapperten und gurgelten wie zuvor, und der riesige Kessel zischte, als eine Wäscherin den Deckel hob und die langen Stangen hineinfuhren, um die Laken herauszuheben, die dann mit zum Zerreißen gespannten Armen zu den gewaltigen Mangeln getragen wurden, die die Wand säumten. Durch diese wurde die Wäsche gedreht, um soviel Wasser wie möglich herauszupressen. Man hatte die Arbeit wieder aufgenommen; Zeit und Arbeitgeber warteten nicht, und die Tote hatte ihren unmittelbaren Reiz verloren. Die meisten Frauen hatten genug Leichen gesehen. Der Tod kam häufig genug.
    Kristian stand noch immer neben dem Wäschekorb, mit dem Rücken an den Rand gelehnt, damit es sich leichter stand. Als er Callandra erblickte, hob er den Kopf und sah sie fragend an.
    »Die Polizei ist bei Sir Herbert«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. »Ein Mann namens Jeavis. Ich glaube, er ist ganz gut.«
    Er sah sie eingehender an. »Sie klingen nicht sehr überzeugt.« Sie seufzte. »Ich wünschte, es wäre William Monk.«
    »Der Kriminalbeamte, der jetzt als Privatdetektiv arbeitet?« Eine gewisse Belustigung blitzte in seinen Augen auf, so rasch, daß sie sie fast übersehen hätte.
    »Er hätte…« Sie verstummte, ungewiß, was sie eigentlich sagen wollte. Schließlich konnte man Monk nun wirklich keine besondere Sensibilität nachsagen. Der Mann verfügte über die Unbarmherzigkeit eines Molochs.
    Kristian wartete und versuchte ihre Gedanken zu lesen.
    Sie lächelte ihn an. »… Vorstellungskraft und Intelligenz«, sagte sie und wußte, es war nicht ganz, was sie meinte. »Die Gabe, über das Offensichtliche hinauszusehen«, fuhr sie fort.
    »Keiner, der ihm eine passende Antwort andrehen könnte, wenn es eine Lüge ist.«
    »Er steht ja in hohem Ansehen bei Ihnen«, bemerkte Kristian. Sein trockenes, wehmütiges Lächeln kehrte zurück. »Lassen Sie uns auf die Begabung von Mr. Jeavis hoffen.« Er wandte sich wieder dem Korb zu. Er hatte der Toten ein ungewaschenes Laken übers Gesicht gebreitet. »Arme Frau«, sagte er zartfühlend. »Sie war eine gute Schwester, wissen Sie, ehrlich gesagt, ich hielt sie für die Beste hier. Was für eine Tragödie: Überlebt sämtliche Feldzüge auf der Krim, Gefahren und Krankheiten, die Seereise, und jetzt stirbt sie unter den Händen irgendeines Kriminellen in einem Londoner Spital.« Er schüttelte den Kopf; eine schreckliche Traurigkeit hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet. »Warum sollte jemand eine solche Frau ermorden?«
    »In der Tat, warum?« Jeavis war eingetreten, ohne daß sie ihn bemerkt hatten. »Sie kannten sie, Dr. Beck?«
    Kristian machte ein überraschtes Gesicht.
    »Selbstverständlich.« Irritiert hob er die Stimme. »Sie war Krankenschwester hier. Wir kannten sie alle.«
    »Aber Sie kannten sie persönlich?« Jeavis ließ nicht locker. Seine dunklen Augen durchforschten fast vorwurfsvoll Kristians Gesicht.
    »Falls Sie damit meinen, außerhalb ihrer

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