Im Schatten der Gerechtigkeit
Wasser begießen lassen.«
Sie lächelte breit. »Na, vielleicht nicht aus der Sicht des Patienten. Ich dachte eher an unsere. Kaltes Wasser ist billig und fast überall problemlos zu haben. Außerdem bedarf es keiner besonderen Fertigkeiten bei der Anwendung, und bei der Dosis kann man sich auch nicht vertun. Ein Eimer mehr oder weniger, was spielt das schon für eine Rolle?«
Sein Gesicht entspannte sich plötzlich, als er herzhaft zu lachen begann. »Oh, natürlich! Ich fürchte, Sie sind weit praktischer veranlagt als ich. Ich muß das bei Frauen immer wieder feststellen.« Dann wurde sein Gesicht ebenso plötzlich wieder hart, seine Stirn umwölkte sich. »Deshalb wünschte ich wirklich, wir könnten bei der Krankenpflege mehr intelligente, selbstbewußte Frauen hinzuziehen. Wir haben die eine oder andere ausgezeichnete Schwester, sicher, aber sie haben kaum eine große Zukunft, wenn sich unsere Ansichten nicht gründlich ändern.« Er sah sie ernst an. »Ich denke da vor allem an eine gewisse Miss Barrymore, die zusammen mit Miss Nightingale auf der Krim war. Sie verfügt über eine bemerkenswerte Auffassungsgabe, erfreut sich aber bedauerlicherweise hier nicht jedermanns Bewunderung.« Er seufzte und sah sie plötzlich mit absoluter Offenheit an – eine Vertraulichkeit, bei der ihr schlagartig warm ums Herz wurde. »Ich fürchte, ich habe mich mit Ihrem Reformeifer angesteckt!«
Er sagte das wie im Scherz, aber sie wußte, er meinte es absolut ernst und wollte ihr das zu verstehen geben.
Sie wollte ihm eben antworten, als draußen auf dem Flur ein zorniges Geschrei anhob. Eine Frau hatte wutentbrannt die Stimme erhoben. Instinktiv wandten sich beide der Tür zu und lauschten.
Einen Augenblick später folgte ein wütender Schrei, dann kreischte jemand vor Schmerz und Wut auf.
Kristian ging zur Tür und öffnete sie. Callandra folgte ihm und blickte hinaus. Es gab hier keine Fenster, und tagsüber brannte das Gaslicht nicht. Einige Meter vor ihnen im Zwielicht rangen zwei Frauen, von denen einer das lange Haar offen und strähnig auf die Schultern hing; sie sahen, wie ihre Gegnerin sich darauf stürzte und zu ziehen begann.
»Aufhören!« rief Callandra, als sie sich an Kristian vorbeischob und auf die beiden Frauen zuging. »Was soll das? Was ist los mit Ihnen?«
Sie hielten einen Augenblick inne, hauptsächlich weil sie völlig überrascht waren. Eine von ihnen war Ende Zwanzig, gewöhnlich, aber nicht unattraktiv. Die andere war wenigstens zehn Jahre älter und sah bereits alt und verbraucht aus vom harten Leben und zu vielen durchzechten Nächten.
»Was ist los?« fragte Callandra noch einmal. »Weshalb schlagen Sie sich?«
»Die Wäscherutsche«, sagte die jüngere mürrisch. »Sie hat sie verstopft, weil sie das ganze Bettzeug auf einmal hineingestopft hat.« Sie funkelte sie an. »Jetzt geht nichts mehr durch, und wir müssen alles selber zu den Waschkesseln tragen! Als hätten wir nicht schon genug um die Ohren, auch ohne jedesmal die Treppe rauf und runter zu laufen, wenn ein Laken zu wechseln ist!«
Erst jetzt sah Callandra das Bündel schmutzigen Bettzeugs auf dem Boden neben der Wand.
»Ich war’s nicht!« sagte die Ältere trotzig. »Ich hab’ nur eines reingeworfen. Wie soll ich die Rutsche mit einem Laken verstopfen?« In ihrer Entrüstung hob sie die Stimme. »Da müßt’ man ja wohl ein ganz gescheites Frauenzimmer sein, um weniger als eines auf einmal runterzuwerfen. Was meinst du? Daß ich es aus’nanderreiße und wieder zusammennähe, nachdem’s gekocht ist?« Sie starrte ihre Gegnerin streitsüchtig an.
»Lassen Sie uns doch mal sehen«, sagte Kristian hinter ihr.
Mit einer Entschuldigung drängte er sich zwischen den beiden Schwestern durch und sah in den offenen Schacht, durch den die Laken direkt neben den Kupferkesseln der Waschküche landeten. Er spähte einige Sekunden hinab, während alle schweigend warteten.
»Ich kann nichts sehen«, sagte er schließlich und trat zurück.
»Irgend etwas muß den Weg blockieren, sonst würde ich unten die Körbe sehen oder wenigstens Licht. Aber wir wollen später darüber diskutieren, wer das da hineingestopft hat. Zunächst einmal gilt es, das Ding zu entfernen.« Er sah sich nach etwas um, womit das zu bewerkstelligen wäre, fand aber nichts.
»Ein Besen?« schlug Callandra vor. »Oder ein Fensterhaken! Irgend etwas mit einem langen Stiel.«
Die Krankenschwestern standen reglos herum.
»Machen Sie schon!« befahl
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