Im Schatten der Gerechtigkeit
Selbstvertrauen. Sie macht sich noch keine Vorstellung davon, was die Welt ihnen bringen kann.« Er lächelte in tiefer Trauer. »Sie stellt sich nicht vor, daß Niederlage und Tod sie ereilen könnte. Derlei passiert immer nur andern. Grenzt an Unsterblichkeit, finden Sie nicht? Dieser Glaube!«
Monk unterbrach ihn nicht.
»Sie hatte einen einzigen Blechkoffer mitgenommen«, fuhr er fort. »Nichts weiter als einige blaue Kleider, saubere Wäsche, ein zweites Paar Stiefel, ihre Bibel und ihre medizinischen Bücher. Sie wollte Ärztin werden, wissen Sie. Unmöglich, ich weiß, aber das schreckte sie nicht ab. Sie wußte eine ganze Menge.« Zum erstenmal sah er Monk direkt in die Augen. »Sie war sehr klug, wissen Sie, und sehr fleißig. Sie tat sich leicht mit dem Lernen. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester, Faith. Die ist da ganz anders. Aber sie haben einander geliebt. Nachdem Faith geheiratet hatte und in den Norden gezogen war, schrieben sie einander mindestens einmal die Woche.« Sein ganzes Gefühl schwang in seiner Stimme mit. »Sie wird…«
»Inwiefern unterschieden sich die beiden?« fiel Monk ihm ins Wort, um ihn zu erlösen.
»Inwiefern?« Er starrte noch immer in den Park und erinnerte sich an glücklichere Tage. »Oh, Faith lachte ständig. Sie tanzte gern. Sie interessierte sich für alles mögliche, aber sie war so was von kokett, so hübsch. Die Leute mochten sie schnell.« Er lächelte. »Es gab ein Dutzend junger Männer, die nichts lieber getan hätten, als ihr den Hof zu machen. Sie hat sich für Joseph Barker entschieden. Er schien so gewöhnlich, so schüchtern. Er stotterte sogar hin und wieder vor Nervosität.« Er schüttelte den Kopf, als überraschte ihn das noch heute. »Er konnte nicht tanzen, wo Faith doch so gern tanzte! Aber sie hatte mehr Verstand als ihre Mutter und ich. Joseph hat sie sehr glücklich gemacht.«
»Und Prudence?« gab Monk ihm das Stichwort.
Das Leuchten verschwand aus seinem Gesicht. »Prudence? Sie wollte nicht heiraten. Sie interessierte sich nur für die Medizin und den Dienst am Nächsten. Sie wollte heilen. Sie wollte etwas verändern!« Er seufzte. »Und immer mehr wissen! Natürlich wollte ihre Mutter, daß sie heiratete, aber sie wies alle Freier ab, und es gab durchaus einige. Sie war ein hübsches Mädchen…« Wieder hielt er einen Moment inne, seine Gefühle waren einfach zu stark, um sie zu verstecken.
Monk wartete. Barrymore brauchte Zeit, um sich wieder in den Griff zu bekommen und seiner Gefühle Herr zu werden. Irgendwo jenseits des Gartens bellte ein Hund; aus der entgegengesetzten Richtung kam der Lärm lachender Kinder.
»Entschuldigen Sie«, sagte Barrymore eine Weile später. »Ich habe sie sehr geliebt. Man sollte keine Lieblingskinder haben, ich weiß, aber ich konnte Prudence so gut verstehen. Wir hatten so vieles gemein: Ideen, Träume…« Er verstummte, weil er ein weiteres Mal Tränen in der Stimme hatte.
»Ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben, Sir«, Monk stand auf. Das Gespräch war unerträglich, und er hatte erfahren, was es zu erfahren gab. »Ich werde sehen, was sich im Hospital herausfinden läßt. Vielleicht auch von Freundinnen, mit denen sie Ihrer Meinung nach in letzter Zeit gesprochen haben könnte und die vielleicht etwas wissen.«
Barrymore nahm sich zusammen. »Ich weiß wirklich nicht, wie die Ihnen helfen könnten, aber wenn es irgend etwas gibt …«
»Ich würde gern noch mit Mrs. Barrymore sprechen, wenn sie dazu in der Lage ist.«
»Mrs. Barrymore?« Er schien überrascht.
»Sie könnte etwas über ihre Tochter wissen, etwas Vertrauliches vielleicht, was banal erscheinen mag, was uns aber auf etwas Wichtiges stoßen könnte.«
»Oh – ja, das wäre wohl möglich, ja. Ich werde sie fragen, ob sie sich dazu imstande fühlt.« Er schüttelte sachte den Kopf.
»Ich kann über ihre Kraft nur staunen. Ich glaube fast, sie hat das weit besser verkraftet als ich.« Mit dieser Bemerkung entschuldigte er sich und ging seine Frau suchen.
Einige Augenblicke später kam er zurück und führte Monk in einen weiteren, komfortablen, hübsch möblierten Raum mit geblümten Sofas und Sesseln, Sticktüchern an der Wand und vielen kleinen Ziergegenständen verschiedenster Art. Ein Bücherschrank mit Büchern, die man offensichtlich wegen ihres Inhalts, nicht wegen ihres möglichen Eindrucks ausgesucht hatte; neben einem Stickrahmen mit einem unfertigen Wandbehang stand ein Korb mit Seidengarn.
Mrs.
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