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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ja«, sie blickte ihn zweifelnd an. »Ich werde fragen, Sir, aber ich glaube nicht, daß sie Sie empfangen. Wir haben gerade einen Trauerfall in der Familie, aber das wissen Sie ja offensichtlich, nach dem was Sie sagen.«
    »Wenn Sie einfach fragen würden?« sagte Monk mit einem feinen Lächeln.
    Das Dienstmädchen schaute etwas verwirrt drein, kam seiner Bitte jedoch schließlich nach und ließ ihn im Flur stehen, während sie die Hausherrin über seine Anwesenheit informierte. Vermutlich verfügte das Haus weder über ein Damenzimmer noch über einen Empfangsraum, in dem Besucher hätten warten können.
    Wie immer sah er sich neugierig um. Aus der Beobachtung eines Heims ließen sich eine Menge Rückschlüsse auf die Bewohner ziehen, nicht nur auf ihre finanzielle Situation, sondern auch auf ihren Geschmack, auf ihre Bildung, ob sie gereist waren oder nicht, manchmal sogar auf ihre Überzeugungen und Vorurteile und welches Bild die Leute sich von ihnen machen sollten. Im Falle von Häusern, die seit mehr als einer Generation im Besitz der Familie waren, ließ sich außerdem etwas über die Eltern und damit die Erziehung erfahren.
    Der Flur der Barrymores freilich bot in dieser Hinsicht nicht sonderlich viel. Das Haus war zwar groß, aber im ländlichen Stil gehalten, so daß die Fenster klein und die Decken niedrig und von Eichenbalken durchzogen waren. Es war mehr mit dem Gedanken an die Bequemlichkeit einer großen Familie als an Gäste gebaut und sicher nicht, um zu beeindrucken. Die Halle hatte einen Holzboden, was angenehm war; an der Wand standen zwei oder drei Chintzsessel, aber es gab weder Bücherschränke, Porträts noch Sticktücher, aus denen sich Rückschlüsse auf den Geschmack der Bewohner hätten ziehen lassen, und der Hutständer hatte nicht eben Charakter; er wies noch nicht einmal einen Spazierstock auf, nur einen abgenutzten Regenschirm.
    Das Dienstmädchen kam wieder, noch immer mit derselben bedrückten Miene. »Wenn Sie hier lang kommen würden, Sir. Mr. Barrymore wird Sie im Studierzimmer empfangen.«
    Gehorsam folgte er ihr durch die Halle und einen schmalen Flur in den hinteren Teil des Hauses, wo er einen erstaunlich angenehmen Raum fand, der auf den rückwärtigen Garten hinaus führte. Durch die Verandatüren sah er einen kurzgeschorenen Rasen, dessen hinteres Ende im Schatten einiger über den Fluß geneigter Trauerweiden lag. Blumen gab es kaum, dafür aber zierliche Sträucher mit einer herrlichen Vielfalt an Blattformen.
    Mr. Barrymore war ein hochgewachsener, hagerer Mann mit einem lebhaften Gesicht, das auf viel Phantasie schließen ließ. Dank Callandras Beschreibung konnte Monk sofort erraten, von wem die ermordete Krankenschwester Züge und Körperbau gehabt hatte. Die Ähnlichkeit war auffallend und ließ den Verlust um so schmerzlicher erscheinen. Der Mann vor ihm hatte nicht nur ein Kind verloren, sondern einen Teil seiner selbst. Monk hatte ein schlechtes Gewissen, hier einfach so einzudringen. Was spielten Gesetz und Gerechtigkeit angesichts eines solchen Schmerzes noch für eine Rolle? Weder eine Lösung des Falles, noch Prozeß oder Strafe würden sie zurückbringen oder das Geschehene rückgängig machen. Wozu um alles in der Welt war Rache schon gut?
    »Guten Morgen, Sir«, sagte Barrymore nüchtern. Sein Unglück stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, aber weder entschuldigte er sich dafür, noch unternahm er einen sinnlosen Versuch, sich zu verstellen. Er sah Monk unsicher an. »Mein Mädchen sagt, Sie kommen im Zusammenhang mit dem Tod unserer Tochter. Sie hat zwar nichts gesagt, aber ich nehme an, Sie sind Polizist? Sie hat eine Lady Daviot erwähnt, aber da muß es sich wohl um einen Irrtum handeln, da wir niemanden dieses Namens kennen.«
    Monk wünschte, er hätte einen Trick gehabt, eine spezielle Gabe, abzuschwächen, was gesagt werden mußte, aber er wußte, daß es derlei nicht gab. Vielleicht war die schlichte Wahrheit das beste. Ausflüchte würden das Ganze nur unnötig in die Länge ziehen.
    »Nein, Mr. Barrymore. Ich war zwar früher bei der Polizei, bin es aber heute nicht mehr. Ich ermittle jetzt privat.« Wie er diese Floskel haßte! Sie hörte sich so schäbig an, als jage er Gelegenheitsdiebe und auf Abwege geratene Ehefrauen. »Lady Callandra Daviot«, das hörte sich schon besser an!, »ist vom Verwaltungsrat des Krankenhauses. Sie hegte eine tiefe Hochachtung für Miss Barrymore. Sie macht sich Sorgen, die Polizei könnte nicht alle

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