Im Schatten der Gerechtigkeit
Haus liegt etwas weiter hinten. Sie werden dort noch einmal fragen müssen. Ich denke, das ist einfacher, als Ihnen das Haus beschreiben zu wollen, obwohl es ausgesprochen attraktiv ist. Aber das sind die Häuser dort alle. Es ist eine äußerst reizvolle Gegend.«
»Ich danke Ihnen, Mrs. Barrymore, Ihre Beschreibung ist sehr genau. Und Miss Cuthbertson, die sich ja offensichtlich als Miss Barrymores Rivalin betrachtete? Wo könnte ich sie wohl finden?«
»Nanette Cuthbertson?« Wieder verunzierte ein Ausdruck des Widerwillens ihr Gesicht. »Sie lebt auf der Wyke Farm, rechter Hand, auf der anderen Seite der Bahnlinie, am Rand von Osterley Park.« Sie lächelte wieder, aber diesmal nur mit den Lippen. »Ausgesprochen angenehm, wirklich, vor allem für ein Mädchen mit einer Schwäche für Pferde und dergleichen. Ich weiß freilich nicht, wie Sie dort hinkommen wollen. Es ist ein langer Weg über die Boston Lane. Wenn Sie sich kein Fahrzeug mieten können, dann werden Sie wohl über die Felder gehen müssen.« Ihre behandschuhte Hand machte eine merkwürdig anmutige Geste. »Wenn Sie sich auf der Höhe der Boston Farm nach Westen wenden, sollten Sie in etwa hinkommen. Ich nehme selbstverständlich immer den Ponywagen, aber ich denke doch, daß meine Schätzung korrekt ist.«
»Ich danke Ihnen, Mrs. Barrymore.« Er stand auf und neigte höflich den Kopf. »Ich entschuldige mich für mein Eindringen und bin Ihnen wirklich ausgesprochen dankbar für Ihre Hilfe.«
Barrymore sah ihn rasch an. »Falls Sie etwas in Erfahrung bringen sollten, würde es wohl gegen Ihr Berufsethos verstoßen, uns das wissen zu lassen?«
»Ich werde Lady Callandra berichten, aber ich habe keinen Zweifel, daß sie es Ihnen sagen wird«, antwortete Monk. Er hätte nicht die geringsten Skrupel, diesem ruhigen, trauernden Mann zu erzählen, was auch immer ihm helfen würde, aber er dachte, es wäre leichter für ihn, es aus dem Munde Callandras zu hören. Außerdem ließe sich so vermeiden, daß er etwas erfuhr, was zwar wahr, aber nur schmerzlich und ohne Einfluß auf die Ermittlung oder Verurteilung des Mörders wäre. Er dankte ihnen und kondolierte ein letztes Mal. Mr. Barrymore begleitete ihn an die Tür und verabschiedete sich dann.
Da es ein angenehmer Tag war, genoß er den halbstündigen Spaziergang von der Green Lane nach Little Ealing, wo er das Haus von Geoffrey Taunton fand. Außerdem gab er ihm die Zeit, sich zurechtzulegen, was er dort sagen wollte. Er erwartete nicht, daß es einfach wäre. Womöglich weigerte sich Geoffrey Taunton gar, ihn zu sehen. Nicht alle Menschen reagierten im Kummer gleich. Bei einigen kam der Zorn zuerst, und das lange bevor sie den Schmerz einfach akzeptierten. Und selbstverständlich war es durchaus möglich, daß Geoffrey Taunton ihr Mörder war! Vielleicht hatte er nicht mehr so bereitwillig gewartet, wie er das in der Vergangenheit getan hatte. Vielleicht war seine Enttäuschung übergekocht? Oder es war ihm eine Leidenschaft ganz anderer Art aus dem Ruder gelaufen. Womöglich hatte er das bedauert und beabsichtigte nun, besagte Nanette Cuthbertson zu heiraten. Er durfte nicht vergessen, Evan nach dem exakten Befund des Leichenbeschauers zu fragen. Zum Beispiel ob Prudence Barrymore ein Kind erwartet hatte. Der Schilderung ihres Vaters nach zu urteilen, schien dies unwahrscheinlich, aber andererseits haben Väter oft nicht die geringste Ahnung über diesen Aspekt des Lebens ihrer Töchter.
Es war wirklich ein herrlicher Tag. Die Felder erstreckten sich zu beiden Seiten des Wegs, ein leichter Wind riffelte den Weizen, der unter dem Herannahen des Hochsommers bereits golden zu werden begann. In einigen Wochen wären die Erntehelfer zugange, den Rücken in der Sonne und im Staub der Ähren gebeugt, der Geruch von heißem Stroh läge in der Luft, und irgendwo weiter hinten stünde der Wagen mit Cider und Brot. In seiner Phantasie hörte er das rhythmische Schwingen der Sicheln, spürte er den Schweiß auf der bloßen Haut, die Brise und den Schatten des Wagens, den Durst, den kühlen, süßen Cider, der noch nach Äpfeln roch.
Hatte er jemals Landarbeit verrichtet? Er durchforschte sein Gedächtnis, konnte aber nichts finden. War das hier im Süden gewesen oder zu Hause, in Northumberland, noch bevor er nach London gekommen war, um etwas über das Geschäftsleben zu lernen, Geld zu verdienen und fast so etwas wie ein Gentleman zu werden?
Er hatte nicht die geringste Ahnung. Es war verschwunden, wie
Weitere Kostenlose Bücher