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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verstehe.«
    »Nun, war dem so? Von wem hat sie gesprochen?« Taunton überlegte einen Augenblick, seine Augen auf den Ulmen am Horizont, deren großartige grüne Kronen in der Sonne leuchteten. »Ich fürchte, wir haben nicht allzuoft über ihre Arbeit gesprochen.« Seine Lippen strafften sich, aber es war unmöglich zu sagen, ob im Zorn oder im Schmerz. »Ich konnte sie nicht gutheißen. Aber sie hat natürlich ihre Hochachtung für den Chefarzt, Sir Herbert Stanhope, erwähnt, einen Mann, der ihrer eigenen gesellschaftlichen Stellung natürlich weit eher entsprach. Sie hatte den größten Respekt vor seinen beruflichen Fähigkeiten. Ich hatte allerdings nie den Eindruck, daß ihre Gefühle persönlicher Natur waren.« Er sah Monk finster an.
    »Ich hoffe doch nicht, daß Sie derlei andeuten wollten?«
    »Ich deute überhaupt nichts an«, sagte Monk ungeduldig und mit erhobener Stimme. »Ich versuche lediglich etwas über sie zu erfahren – wer ihr hätte Böses wollen können, egal aus welchem Grund: Eifersucht, Angst, Ehrgeiz, Rache, Gier, was auch immer. Hatte sie Ihres Wissens nach Verehrer? Nach allem, was ich so höre, war sie eine ausgesprochen attraktive Person.«
    »Ja, das war sie, bei allem Eigensinn. Sie war wirklich sehr hübsch.« Einen Augenblick lang wandte er sich ab, damit Monk seine Qualen nicht sah.
    Monk überlegte, sich zu entschuldigen, hatte dann jedoch das Gefühl, ihn damit nur noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Er hatte nie gelernt, in solchen Augenblicken das Richtige zu sagen. Vielleicht gab es das gar nicht.
    »Nein«, sagte Taunton einige Augenblicke darauf. »Sie hat nie von jemandem erzählt. Obwohl es natürlich möglich ist, daß sie mir nichts gesagt hat. Sie kannte ja meine Gefühle für sie. Aber sie war so offensichtlich ehrlich. Ich glaube, wenn es da jemanden gegeben hätte, sie hätte in ihrer offenen Art gar nicht anders gekonnt, als es mir zu sagen. Nach allem, was sie so sagte, war die Medizin ihre einzige Liebe. Eine Liebe, die ihr keine Zeit für gewöhnliche weibliche Interessen oder Instinkte ließ. Wenn überhaupt, würde ich sagen, dann war sie in letzter Zeit engagierter denn je.« Er sah Monk ernsten Blickes an. »Sie haben sie nicht gekannt, bevor sie auf die Krim ging, Mr. Monk. Damals war sie noch anders, ganz anders. Sie hatte noch nicht diese…« Er verstummte und suchte nach einem passenden Wort. »Sie war… weicher. Ja, das ist es: weicher. Viel weiblicher.«
    Monk widersprach ihm nicht, obwohl ihm die Worte auf der Zunge lagen. Waren Frauen wirklich weich? Die besten Frauen, die er kannte, die, die ihm dabei sofort in den Sinn kamen, waren alles andere als weich. Die Konventionen forderten, daß sie sich nach außen hin nachgiebig zeigten, sicher, aber sie verfügten über einen Kern aus Stahl, der so manchen Mann beschämt hätte; ihre Willenskraft und Ausdauer waren unübertroffen. Hester Latterly hatte den Mut gehabt, für ihn einzutreten, als er sich längst aufgegeben hatte. Sie hatte ihn drangsaliert, beschimpft oder war ihm um den Bart gegangen, bis er wieder gehofft und schließlich wieder gekämpft hatte, und das ohne Rücksicht auf ihr eigenes Wohlergehen.
    Und er hätte jeden Eid geschworen, Callandra würde das gleiche tun, wenn die Situation es erforderte. Vielleicht war Prudence Barrymore eine von ihnen gewesen: leidenschaftlich, tapfer und zielbewußt. Einem Mann wie Geoffrey Taunton mußte es schwerfallen, das zu akzeptieren, geschweige denn, daß er es verstanden hätte. Vielleicht hätte jeder seine Schwierigkeiten damit gehabt. Hester konnte weiß Gott aggressiv sein, halsstarrig, scharfzüngig und sich in ihrer Eigensinnigkeit querstellen.
    Um die Wahrheit zu sagen, Monks Ärger über Taunton klang merklich ab, als er darüber nachdachte. Hatte er Prudence Barrymore tatsächlich geliebt, so hatte er wahrscheinlich sein Kreuz zu tragen gehabt.
    »Ja, ja, ich verstehe schon«, sagte er schließlich mit dem Anflug eines Lächelns. »Es muß sehr schwierig gewesen sein für Sie. Wann haben Sie Miss Barrymore das letzte Mal gesehen?«
    »An dem Morgen, an dem sie gestorben ist – ermordet wurde«, antwortete Taunton ganz blaß. »Vermutlich kurz davor.«
    Monk war verwirrt. »Aber sie wurde doch früh am Morgen ermordet, zwischen sechs und halb sieben.«
    Taunton errötete. »Ja, es war noch sehr früh, um genau zu sein, spätestens sieben. Ich hatte die Nacht in der Stadt verbracht und habe sie vor Abfahrt meines Zuges

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