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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Botschaft überbracht hatte, ging sie wieder, ohne weiter darauf zu achten, ob Hester der Aufforderung nachkam oder nicht.
    Blinzelnd, mit entzündeten Augen und schwerem Kopf stieg Hester aus dem Bett (sie mochte es nicht als »ihres« bezeichnen), streifte sich ihr Kleid über und ordnete das Haar. Dann machte sie sich auf die Suche nach Jeavis, der Beschreibung der Frau nach konnte es sich nur um Jeavis handeln, nicht Evan.
    Sie fand ihn vor Sir Herbert Stanhopes Zimmer; er beobachtete sie, als sie den Korridor herauf auf ihn zukam.
    Vermutlich wußte er, wo der Schlafsaal lag, und hatte sich gedacht, daß sie diesen Weg nehmen würde.
    »Morgen, Miss«, sagte er, als sie ihn fast erreicht hatte. Er musterte sie neugierig von Kopf bis Fuß. »Sie sind also Miss Latterly?«
    »Ja, Inspektor. Was kann ich für Sie tun?« Sie sagte das kühler als beabsichtigt, aber irgend etwas an seiner Art irritierte sie.
    »Ach ja. Sie waren ja noch nicht hier, als Miss Barrymore zu Tode kam«, begann er überflüssigerweise. »Aber wie ich höre, haben Sie auch auf der Krim gedient? Haben Sie sie vielleicht dort kennengelernt?«
    »Beiläufig, ja.« Sie wollte schon hinzufügen, daß sie nichts von Bedeutung wüßte, sonst hätte sie ihn das bereits wissen lassen, als ihr klar wurde, daß von ihm ja möglicherweise etwas zu erfahren wäre, wenn sie die Unterhaltung etwas in die Länge zog. »Wir haben einmal Seite an Seite gearbeitet.« Sie sah ihm in die dunklen, fast brauenlosen Augen und mußte unwillkürlich an die Schwester denken, die ihn ein »Frettchen« genannt hatte. Es war grausam, aber nicht ganz unangebracht: ein dunkelbraunes, hochintelligentes Frettchen. Vielleicht war es wirklich keine gute Idee, ihm einen Bären aufbinden zu wollen.
    »Schwer zu sagen, wie eine Frau ausgesehen hat«, sagte er nachdenklich, »die man nie lebendig gesehen hat. Ich höre hier von allen Seiten, daß sie ganz ansehnlich war. Würden Sie dem zustimmen, Miss Latterly?«
    »Ja.« Sie war überrascht. Es schien ihr herzlich unwichtig.
    »Doch, sie hatte ein ganz… ganz eigenes Gesicht, ausgesprochen attraktiv. Sie war allerdings ziemlich groß.«
    Jeavis nahm unbewußt die Schultern zurück. »In der Tat. Ich nehme also an, daß sie wohl ihre Bewunderer hatte?«
    Hester wich seinem Blick bewußt aus. »Oh, ja. Glauben Sie denn, daß einer von denen sie umgebracht hat?«
    »Was ich glaube, tut nichts zur Sache«, antwortete er blasiert.
    »Beantworten Sie einfach meine Fragen, so gut Sie können.« Hester kochte vor Zorn und hatte große Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Aufgeblasener kleiner Mann!
    »Meines Wissens hat sie nie jemanden ermutigt«, sagte sie mit steifen Lippen. »Sie hat nicht geflirtet. Ich glaube, daß sie nicht einmal gewußt hätte, wie man das macht.«
    »Hmmm…« Er biß sich auf die Lippe. »Sei’s drum, hat sie Ihnen gegenüber jemals einen Mr. Geoffrey Taunton erwähnt? Denken Sie jetzt sorgfältig nach, ich brauche eine präzise, ehrliche Antwort.«
    Hester hielt sich mit unendlicher Mühe unter Kontrolle. Sie hätte gute Lust gehabt, ihn zu ohrfeigen. Aber die Unterhaltung hätte sich schon gelohnt, wenn sie auch nur das geringste erfuhr. Sie starrte ihn mit großen Augen an. »Wie sieht der denn aus, Inspektor?«
    «Es spielt keine Rolle, wie er aussieht, Miss!« sagte er gereizt.
    »Was ich wissen will, ist, ob sie ihn erwähnt hat?«
    »Sie hatte eine Fotografie«, log Hester ohne Gewissensbisse. Obwohl es sich nur in dem Sinne um eine Lüge handelte, daß Prudence’ Fotografie von ihrem Vater gewesen war.
    Auf der Stelle regte sich Jeavis’ Interesse. »Tatsächlich! Wie sah er denn aus, der Mann auf diesem Foto?«
    So hatte es keinen Sinn. »Na ja, hm…« Sie legte die Stirn in Falten, als suche sie nach den richtigen Worten.
    »Kommen Sie schon, Miss! Sie müssen doch irgendeine Ahnung haben!« drängte sie Jeavis. »War er grob, kultiviert? Sah er gut aus, war er häßlich? War er rasiert, trug er einen Schnurrbart, Bart, Backenbart? Also, wie sah er aus?«
    »Oh, er sah gut aus«, wich sie ihm aus in der Hoffnung, er würde seine Vorsicht vergessen. »Irgendwie – tja, schwer zu sagen…«
    »Äh ja.«
    Sie befürchtete, er könnte das Interesse verlieren, wenn sie ihm nicht bald eine zufriedenstellende Antwort gab. »Sie hatte es die ganze Zeit bei sich!« Jeavis war mit seiner Geduld am Ende. »Groß, glattes Haar, regelmäßige Züge, eher kleiner Mund, helle Augen, gesetzt.«
    »Ja! Ja,

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