Im Schatten der Königin: Roman
weiter das Schlachtfeld abzusuchen.
Ich schickte Ambrose in das Zelt zurück, das wir alle teilten, und folgte Robin.
Wir fanden kaum genügend Überbleibsel für ein christliches Begräbnis. Henrys Kopf gehörte nicht dazu. Bei manchen Gliedmaßen war ich mir nicht sicher, ob sie ihm gehört hatten, und ich vermutete, dass Robin es auch nicht war. Aber nachdem er sich eingestehen musste, dass es keine Hoffnung mehr für Henry gab, bestand er darauf, dass es sich bei dem, was wir fanden, um den Oberarm, um die Füße, um das Bein seines Bruders handelte.
»Meine Mutter«, begann er, und sein starrer Gesichtsausdruck machte mir mehr Sorgen, als es Ambrose’ offener Zusammenbruch getan hatte, »meine Mutter hätte gewollt, dass Henry ein ordentliches Begräbnis bekommt.«
Es lag mir auf der Zunge, ihm die Wahrheit über Jane zu sagen, da fiel mir auf, dass er in der Vergangenheitsform von ihr gesprochen hatte, und ich begriff, dass er bereits wusste, was geschehen war.
»Woher …«
»Du bist nicht der Einzige, der Briefe aus England bekommt, Vetter«, sagte Robin, und die steinerne Haltung, in die er sich seit Beginn der Schlacht geflüchtet hatte, begann endlich etwas aufzubrechen, als er einen blutbefleckten Hut, der tatsächlich Henrys gewesen sein konnte, vom Boden auflas. Er hielt ihn in den Händen, und ich konnte sehen, dass er wiederholt schluckte, als versuche er mit Gewalt, Tränen zu unterdrücken. Ich dachte daran, wie ich vor meinem Vater nie hatte Schwäche zeigen wollen. Aber wenn es je einen Zeitpunkt gab, an dem mein zwölf Jahre jüngerer Vetter einen Anspruch darauf hatte, vor Gott und den Menschen einmal keine Stärke zeigen zu müssen, dann jetzt. Ich wusste nur nicht, wie ich das zum Ausdruck bringen konnte, ohne die falschen Worte zu gebrauchen und ihn womöglich zu kränken.
»Ich glaube«, sagte ich stattdessen mit einem Blick auf den Hut, »wir haben nun genug gefunden, Vetter.«
Er nickte stumm.
Robin und ich legten das, was von Henry übrig war, in einen Sarg und hörten wenig später einen spanischen Pfaffen um Gottes Segen für ihn bitten. Danach nahm ich, was ich an Geld hatte, und ging mit Robin in den nächstgelegenen Ort. Dort liebte man zwar weder Engländer noch Spanier, aber sehr wohl klingende Münze; ich besorgte uns Branntwein und zwei Mädchen. Gewiss, Katholiken wie Protestanten sind sich einig, dass unser Herr den Ehebruch verdammt, aber meine eigene Auslegung war immer, dass dies nicht für Männer gilt, die ihre Gattin monatelang nicht zu Gesicht bekommen, und gewiss nicht für Soldaten. Sich im warmen, willigen Körper einer Frau zu verlieren, schafft Vergessen wie kaum etwas anderes, und für mich stand an jenem unseligen Tag fest, dass Janes Sohn und ich dringend Vergessen brauchten. Und sei es nur eine Stunde lang.
In besseren, glücklicheren Zeiten war es einmal an mir gewesen, Robin und seinen Brüdern Ratschläge über Frauen zu erteilen. Als Henry das Mädchen, durch dessen Ring wir heute seine Hand wiedererkannt hatten, schwängerte und im Schnellverfahren heiraten musste, war John Dudley mit dem Coup gegen Edward Seymour beschäftigt gewesen und hatte mich gebeten, dafür zu sorgen, dass seine Söhne ihm keine solchen Streiche mehr spielten. Ich hatte John den Jüngeren, Ambrose, Robin und Guildford zur Seite genommen und ihnen erklärt, dass ein Mann, der seinen Verstand beisammen hatte, niemals ein Verhältnis mit einem unverheirateten Mädchen anfing. »Der Apostel Paulus meinte, es ist besser zu heiraten, als zu brennen«, hatte ich gesagt, »aber er war nicht verheiratet, und ein Heiliger ist ohnehin nicht von dieser Welt. Wenn ihr meine Meinung dazu hören wollt: Wenn man das Feuer nicht kontrollieren kann, so rät es sich doch, den Brand in ein sicheres Gefilde zu lenken.«
Die Jungen, allesamt noch Jahre davon entfernt, als Männer zu gelten, aber durchaus alt genug, um Dummheiten zu begehen, hatten mich großäugig angestarrt und gefragt, wer denn als »sicher« bezeichnet werden könne.
»Erzählt Eurer Mutter nie, was ich jetzt sage«, hatte ich erwidert, »aber die sicherste Frau ist immer eine verheiratete Frau. Wenn ihr vorsichtig vorgeht und nicht mit der Affäre herumprahlt, dann müsst ihr nicht fürchten, sie in Schande zu stürzen, weil kein Mensch etwas von der Sache erfährt. Wenn sie schwanger wird, dann freut sich der Gatte über einen neuen Erben, und ihr müsst nicht für das Kind aufkommen. Außerdem hat eine solche Frau
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