Im Schatten der Königin: Roman
erfolgt – oder, solange der kleine Edward noch minderjährig war, des Regentschaftsrats –, Hochverrat war. Und zum anderen, dass ein Mann, von dem ich doch bereits wusste, dass er nicht zögerte, seine Stieftochter zu verführen, nicht der Mann war, den mein Mädchen verdiente.
Es gab eine Frage, die ich Elizabeth damals nicht stellte, die ich ihr immer noch nicht gestellt habe. Vielleicht, weil ich im Grunde nicht wissen wollte, wie weit genau die Dinge zwischen ihr und Thomas Seymour gegangen waren. Wenn Gott mir gestatten würde, die Uhren rückwärts laufen zu lassen, würde ich so vieles anders machen.
Elizabeth weigerte sich weiterhin, ja zu sagen, Thomas Seymour wurde ungeduldig und versuchte, seinen Neffen, den kleinen König, zu entführen, um seinen Bruder auf diese Art auszumanövrieren und selbst Lord Protector zu werden; er wurde dabei überrascht und verhaftet. Wenig später fand ich mich im Tower wieder, zusammen mit Elizabeths Haushofmeister, Master Parry. Der Regentschaftsrat wollte, dass wir ihnen bestätigten, von Seymours Plänen gewusst zu haben, nicht nur von den Eheplänen, sondern auch von den Entführungsplänen, von allem. Dabei erfuhr ich auch endlich, dass er bereits vor seiner Ehe mit Catherine Parr versucht hatte, die Hand einer der beiden Prinzessinnen zu bekommen. Der Rat wollte, dass wir ihnen bestätigten, dass auch mein Mädchen über diese Dinge Bescheid gewusst habe, und da erst begriff ich, dass es um unser aller Köpfe ging, auch um ihren. Der einzige Unterschied war, dass sie nicht im Tower unter Arrest stand, sondern in Hatfield, aber dort wurde sie verhört, und es war niemand mehr von uns bei ihr, die wir sie durch ihre Kindheit begleitet und beschützt hatten. Sie war völlig allein.
Ich dachte damals, wir würden alle sterben, ich gebe es zu. Man zeigte mir die Folterinstrumente, die Beinschienen, die Streckräder, und mich packte das blanke Entsetzen. Gott vergebe mir meine Schwäche. Ich gestand ein, dass ich mit Master Parry über eine Ehe mit dem Lord Admiral gesprochen hatte. Ich erzählte von den Vorkommnissen zu Lebzeiten der Königinwitwe, wie aus morgendlichen Kissenschlachten zerschnittene Kleider geworden waren. Genau das war es, was sie von mir hören wollten. Was ich in meiner Angst aber dennoch nicht sagte, war, dass mein Mädchen einverstanden mit Thomas Seymours Heiratsplänen gewesen wäre. Darauf bin ich nicht stolz, denn es war die reine Wahrheit, und alles andere war schon schlimm genug. Ich hätte schweigen und überhaupt nichts sagen sollen, aber ich hatte solche Angst.
Thomas Seymour wurde hingerichtet, und als ich davon hörte, dachte ich: Wenn der Lord Protector willens ist, seinen Bruder hinzurichten, dann ist es auch um mich geschehen, um Mr.Parry und um Elizabeth. Daran, dass ihr kleiner Bruder sie retten würde, glaubte ich nicht mehr; er war ein Kind, und es war nicht seine Entscheidung.
Aber dann wurde ich entlassen, und Mr.Parry auch. Wir erfuhren, dass wir dies Elizabeth verdankten. Sie hatte nicht nur auf ihrer eigenen Unschuld bestanden, ganz gleich, wie oft man sie verhörte, sondern auch darauf, dass ihre Dienerschaft nicht schuldig sein könne, wenn sie selbst unschuldig sei. Sie hatte den Regentschaftsrat aufgefordert, sie entweder selbst für schuldig zu erklären und hinzurichten, oder mich und Mr.Parry für unschuldig zu befinden und freizulassen. Außerdem bestand sie darauf, dass ich wieder in ihre Dienste gestellt wurde, obwohl der Rat längst eine andere Frau bestimmt hatte, die sich ihrer annehmen sollte: »Ich habe keine andere Gouvernante als Mrs.Ashley.« Ich war noch nie so stolz auf sie gewesen, und gleichzeitig so beschämt, denn ich hätte sie beschützen sollen, nicht umgekehrt. Sie war immer noch keine sechzehn! Nie wieder, das schwor ich mir, werde ich sie so im Stich lassen.
Als wir uns wiedersahen, versuchte ich ihr das zu sagen, aber sie hielt mir den Mund zu, noch ehe ich meine Entschuldigung beenden konnte.
»Du hast mich nie gefragt, was ich wirklich wollte, und ich habe es dir nie gesagt. Wir werden nie mehr davon sprechen, Kat«, sagte sie. »Von nichts, was mit diesem Mann zu tun hat.«
Sie hat schon zu viele Dinge, von denen sie nicht spricht, dachte ich und musste an das Ende ihrer Mutter denken. Sie war drei Jahre alt, als der König Anne Boleyn hinrichten ließ, und lange dachten wir alle, Elizabeth habe ihre Mutter einfach vergessen. Doch als die fünfte Frau des alten Königs, die kleine
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