Im Schatten der Königin: Roman
ich habe wirklich kaum begriffen, was Ihr da vorhin gesagt habt. Wir werden eben leider allesamt nicht jünger. An Eurer Stelle würde ich sofort gehen, denn für Frauen in unserem Alter ziemt es sich einfach nicht, zu rennen, und Ihr wollt Euch doch gewiss nicht verspäten.«
Sie starrte mich an, jeder Zollbreit in ihrer Gestalt Empörung, und ich starrte zurück, obwohl mir der Schweiß den Rücken herunterlief. Wenn ich mich irrte und sie tatsächlich bereit war, einen königlichen Wunsch ganz offen zu verweigern, dann konnte das der Anfang vom Ende sein. Unter der verstorbenen Königin Mary hatte es zwei Aufstände zugunsten Elizabeths gegeben. Begannen nun die Aufstände zugunsten der nächsten Thronfolgerin? Die Menschen lieben die aufsteigende Sonne immer mehr als die dämmernde , hatte mein Schützling damals gesagt. Wenn ich je Königin werde, dann benenne ich ganz gewiss nie einen Nachfolger. Genauso gut kann man sich ein Leichentuch schneidern lassen und allen Unzufriedenen im Land einen Popanz geben, hinter dem sie sich versammeln können.
Sollte Lady Lennox wirklich gewiss sein, dass Elizabeths Tage gezählt waren, würden sie und ihre Söhne den Hof verlassen, um Gleichgesinnte zu finden und einen Aufstand zu schüren. Wenn Lady Lennox dagegen nachgab, dann spielte sie zumindest auf Zeit und hielt es für möglich, dass ihre ungeliebte Base an der Macht blieb. Aber sie war stolz, so stolz, und die Verachtung, mit der sie vorhin gesprochen hatte, war nicht gespielt gewesen.
»Madame«, sagte der französische Botschafter in seiner eigenen Sprache zu Lady Lennox, »es ist jetzt nicht die Zeit.«
Dass er mich des Französischen für unkundig hielt, stellte eine kleine Beleidigung dar, doch eine, die mir nutzte. Ich mag kein Gelehrter wie Roger Ascham sein, doch ich war die erste Lehrerin, die mein Mädchen hatte, und ich habe ihr nicht nur Sticken und Tanzen beigebracht, wie der Gesandte das offensichtlich glaubt, sondern neben Französisch auch Spanisch, Italienisch und Flämisch. Ohne erkennen zu lassen, dass ich ihn verstand, schaute ich weiterhin Lady Lennox an.
»My lady, wollen wir gemeinsam gehen?«
Sie presste die Lippen zusammen, dann nickte sie knapp, und ich bemühte mich, nicht erleichtert aufzuatmen. Um ihrem Rang und königlichem Blut Respekt zu erweisen, ging ich einen halben Schritt hinter ihr. Sie drehte sich nicht zu mir um, doch sie sagte mit gesenkter Stimme: »Warum ein wertloses Frauenzimmer noch am Leben ist, das es noch nicht einmal fertigbrachte, seine Schülerin aus dem Bett ihres Stiefvaters fernzuhalten, das werde ich nie verstehen.«
Diesmal waren ihre Worte für mich bestimmt, niemand anderen, und sie träufelten wie flüssiges Salz in eine kaum verheilte Wunde. Lady Lennox wusste, dass ich wieder so tun würde, als hörte ich sie nicht; es war ihre Rache dafür, gerade vor dem französischen Botschafter den Kürzeren gezogen zu haben, und absichtlich so formuliert, dass sie leugnen konnte, die Königin beleidigt zu haben, wenn ich je etwas sagen sollte. Schließlich hatte sie keine Namen genannt. Das brauchte sie nicht.
Es fiel mir schwer, in der Kapelle darauf zu achten, wer von den Hofdamen anwesend und wem es trotz all meiner Vorsicht gelungen war, sich um den hastig anberaumten Gottesdienst zu drücken, doch ich nahm mich zusammen und zählte. Nur zwei waren nicht hier; es hätte schlimmer kommen können, und ich wusste, wer sein Privileg auf ein Zimmer im Palast demnächst verlieren würde. Mein Platz wäre eigentlich zwischen Catherine Carey – Mary Boleyns Tochter und Elizabeths Base von der mütterlichen Seite – und Mall Sidney gewesen, aber diese beiden brauchten mich nicht als Erinnerung daran, zu beten statt zu klatschen. Zwischen zwei der jüngsten und dümmsten Hofdamen war ich heute von weit größerem Nutzen. Sie hatten bereits die Köpfe zusammengesteckt, verstummten aber sofort eingeschüchtert, als ich mich zwischen ihnen niederließ. Ich muss wohl sehr grimmig dreingeschaut haben. Dabei galt es zur Abwechslung nicht ihnen, so wenig, wie ich nun für Robin Dudleys tote Frau betete, als ich die Augen schloss und die Hände faltete. Ich war zu beschäftigt damit, Gott zu bitten, er möge mir das verzeihen, was mir von Lady Lennox mit Recht gerade vorgeworfen worden war.
Am Anfang wusste ich wirklich nicht, was sich anbahnte, das schwöre ich. Thomas Seymour, der Lord Admiral, war ein Bruder des Lord Protectors Edward Seymour und der verstorbenen
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