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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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recht behalten.
    Der Garten von Cumnor war nicht nach einer dieser neuen Knotenmoden angelegt, sondern in Form von ordentlichen, rechteckigen Beeten, meist voller Gemüse, Salat, Endivien, Lauch und Karotten, ein paar Rosen als Zierde und Knoblauch, um dadurch die Schädlinge fernzuhalten. Einige der Rosen waren bereits verblüht, aber andere besaßen sogar noch Knospen, obwohl der September bald die zweite Woche vollendet hatte. Es waren rote und weiße Rosen, um nach alter Tradition das Haus Tudor zu ehren; ich hatte nicht gewusst, dass es auch gelbe Rosen gibt, ehe John Dudley Herzog von Northumberland wurde und Jane sie auf seinen Gütern anpflanzen ließ.
    Der Anblick der üppigen Beete erinnerte mich an eine Narretei der Königin Mary; als die Spanier mit ihrem Prinzen hierherkamen, gab sie den Befehl, Orangen anzupflanzen, um Philipp an seine Heimat zu erinnern, auch wenn niemand sonst so recht glauben wollte, dass Orangenbäume in unserem Klima gedeihen würden. Nach Marys Tod versuchte es kaum jemand mehr, außer Margery, die es als Herausforderung betrachtete und mich jedes Jahr erneut daran erinnerte, von den Leuten der spanischen Gesandtschaft die nötigen Samen zu kaufen.
    Ich habe erst einmal in meinem Leben eine Orange gegessen. Sie kommen aus Portugal und Spanien zu uns und sind so teuer, dass sich nur die königliche Familie und der höhere Adel den Luxus leisten können. Als John Vorsitzender des Regentschaftsrates wurde, konnte er natürlich nicht widerstehen und brachte seiner Frau und jedem seiner Kinder eine Orange mit. Ich hatte damals etwas für ihn erledigt – was, das weiß ich nicht mehr – und war bei der Gelegenheit in den Ställen Robin über den Weg gelaufen, der beim Fohlen einer Stute mithalf. Von Janes Kindern war er derjenige, der ihre Tierliebe nicht nur geerbt, sondern noch übertroffen hatte. Jane hing an ihren Vögeln und sollte noch in ihrer ärmsten Zeit nach Johns Tod ihren Papagei behalten. Bei Robin waren es Pferde und Hunde. Und deswegen nahm er nicht Reißaus, wie es die meisten Jungen taten, sondern bestand darauf zu helfen, als die Stute Pandora ihr Fohlen warf. Sein kleiner Bruder Guildford kam, um ihn zu holen, und rief, dass es Orangen gäbe, aber Robin war nicht von der Stute wegzubekommen. Wir halfen dem Fohlen gemeinsam mit dem Stallmeister auf die Welt und gingen anschließend Apfelwein trinken, weil wir fanden, dass es Bier für ein solches Prachtpferd nicht tat.
    Robin war noch dabei, Namen für das neue Fohlen vorzuschlagen, als seine Schwester Mall uns aufstöberte und aus ihren Röcken eine Orange hervorzog, die sie für ihn aufbewahrt hatte. Mall war immer eine freundliche Natur, Gott segne sie, und dank ihrer frühen Ehe mit Henry Sidney, dem besten Freund des jungen Königs Edward, die Einzige, um die man sich nach Johns Sturz keine Sorgen zu machen brauchte.
    Ich muss gestehen, so eine Orange aus der Nähe zu betrachten machte mich neugierig, wie sie wohl schmeckte. Natürlich ließ ich mir dies nicht anmerken, während Mall Robin zeigte, wie man die Schale entfernte. Wahrscheinlich war mein Gesichtsausdruck aber doch nicht so beherrscht, wie er hätte sein sollen, denn Robin hielt auf einmal inne und fragte: »Bist du hungrig, Vetter Blount?« Ohne meine Antwort abzuwarten, hielt er mir die Hälfte der Orange hin.
    Ich habe selten etwas gegessen, was besser schmeckte.
    Und nun, da ich im Garten eines alten Klosterhospitals stand, im Zimmer einer toten Frau geschlafen hatte und wusste, dass es keine guten Antworten auf die Fragen geben konnte, die mich hier plagten, da konnte ich an Robin eben nicht nur als den ehrgeizigen jungen Mann denken, der sich mit seinem Stolz in den letzten zwei Jahren reichlich Feinde geschaffen und seine Gemahlin schamlos vernachlässigt – oder sich womöglich noch ganz anders gegen sie versündigt – hatte. Ich konnte es nicht nur, weil ich Amys wegen auf eine Weise in seiner Schuld stand, von der er nichts wusste. Nein, ich konnte es nicht, weil seine Fehler auch die meinen waren, und ich konnte es nicht, weil ich zu viele andere Erinnerungen an ihn hatte.
    All die widerstrebenden Gefühle, die mich seit dem gestrigen Tag quälten, all die Unsicherheiten, die Wut und die Erinnerungen liefen im Grunde nur auf eines hinaus: Ich konnte ihn jetzt nicht im Stich lassen.

    Anthony Forster teilte mir mit, dass er an diesem Tag die inzwischen ernannten Geschworenen aus Abingdon erwartete, die Amys Tod offiziell untersuchen

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