Im Schatten der Leidenschaft
Ach ja, dies hier ist Lady Carrington. Sie wollte uns besuchen.« Sie deutete auf Judith.
»Ich scheine mir einen ziemlich unpassenden Augenblick ausgesucht zu haben«, sagte Judith und wischte sich die Lachtränen von den Wangen. »Sir Hugo.«
»Lady Carrington.« Er verbeugte sich förmlich über ihre Hand, doch seine Augen blitzten angesichts des Lachens in den goldbraunen Augen der Besucherin. »Ich frage mich manchmal, ob es in diesem Zirkus hier überhaupt je so etwas wie einen passenden Augenblick gibt. Erlauben Sie mir, Ihnen ein Glas Sherry für Ihre erschütterten Nerven anzubieten.« Er deutete in Richtung Bibliothek und sagte über die Schulter: »Chloe, du wirst das wilde Tier sofort entfernen, und wenn ich ihn noch einmal im Haus erwische, werdet ihr beide das bereuen.«
Chloe sah die beiden in der Bibliothek verschwinden und murmelte einen von Falstaffs einfallsreicheren Flüchen.
Erst zwanzig Minuten später konnte sie zu ihrem Vormund und seinem Gast in die Bibliothek gehen. Lady Carrington und Hugo lachten, als sie hereinkam, und die beiden schienen sich hervorragend zu verstehen. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich dadurch ausgeschlossen. Sie betrachtete die Besucherin jetzt aufmerksamer und sah eine lebhafte, schöne Frau Mitte zwanzig, die Sicherheit und Selbstvertrauen ausstrahlte und sich mit Hugo unterhielt, als kenne sie ihn schon ein Leben lang.
Durch Hugos öffentliche Zurechtweisung immer noch etwas eingeschnappt, fühlte sie sich unbehaglich jung und irgendwie tolpatschig, so als wäre sie unerlaubterweise bei den Erwachsenen eingedrungen.
»Bekomme ich ein Glas Sherry?«
»Natürlich, Mädel.« Hugo goß ihr ein Glas ein und füllte Lady Carringtons Glas auf. »Wo ist das wilde Tier?«
»Im Stall.« Sie nahm ihr Glas und nippte daran. »Ich muß mich entschuldigen, Lady Carrington, weil ich Sie nicht korrekt empfangen habe.«
»Oh, entschuldigen Sie sich nicht«, sagte Judith und kicherte. »Ein entkommener Bär ist eine absolut ausreichende Erklärung.«
»Wo ist deine Anstandsdame?« fragte Hugo sein Mündel und erklärte Judith: »Die Kusine meiner verstorbenen Mutter, Lady Smallwood, lebt als Chloes Gesellschafterin bei uns.«
»Sie liegt mit ihrem Riechsalz auf ihrem Bett«, sagte Chloe, und ihre Augen funkelten plötzlich schelmisch. »Ich fürchte, Falstaff hat ihr wieder zugesetzt.«
Judith wollte wissen, um wen es sich dabei handelte, und brach einige Zeit später, immer noch lachend, auf. »Ich gebe am Donnerstag eine Abendgesellschaft«, sagte sie. »Ihr kommt doch alle beide ... mit Lady Smallwood natürlich.«
An jenem Abend, als Judith sich zum Abendessen umzog, bemerkte sie, an ihren Mann gewandt: »Du hast recht, was Harriet betrifft, Marcus. Sie würde mit Chloe Gresham wirklich nicht das geringste anfangen können. Aber Sebastian wird sich köstlich über sie amüsieren. Ihre Schönheit ist natürlich schon wirklich bemerkenswert, aber ihr eigentlicher Reiz ist diese deftige Persönlichkeit, die sie hat. Sie ist völlig ohne jede Künstlichkeit. Ich glaube, sie weiß nicht einmal, wie schön sie ist. Ich habe die Absicht, sie zum Stern der Gesellschaft in dieser Saison zu machen. Was meinst du dazu?«
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß es nicht klappt, wenn du es dir vornimmst.« Marcus nahm der Zofe den smaragdfarbenen Schal ab und legte ihn persönlich um den schlanken Hals seiner Frau. »Mit einem Vermögen von achtzigtausend Pfund und einem Gesicht und einer Figur, die der schönen Helena Konkurrenz machen könnten, braucht sie nur noch die richtige Unterstützung.«
»Dann soll sie sie bekommen. Sie wird bei Almack’s einen Bürgen brauchen, also werde ich sie am Donnerstag Sally Jersey vorstellen. Sie ist so wohlmeinend, sie wird gegen Chloes lockere Art sicher nichts haben, was bei der Prinzessin Esterhazy vielleicht anders ist.«
»Ich wünschte immer noch, ich wüßte, warum Hugo Lattimer ihr Vormund ist und nicht Jasper Gresham.« Marcus zuckte mit den Schultern. »Ist dir bei ihnen irgend etwas aufgefallen?«
»Nur, daß sie ihn offensichtlich leicht um den Finger wickeln kann«, sagte Judith. »Auch wenn er sich öfters als der genervte Vormund gibt.«
»Interessant.«
»Ja sehr. Es wohnt eine Lady Smallwood als Anstandsdame mit bei ihnen. Die Kusine seiner verstorbenen Mutter.«
Marcus nickte. »Die Familie von Lattimers Mutter waren Beauchamps. Makelloser Stammbaum. Lady Smallwood hat sicher die richtigen Beziehungen ... auch wenn
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