Im Schatten der Leidenschaft
ich gehört habe, daß sie keine besonders empfindsame Person ist.«
»Seit wann interessiert das in der Gesellschaft jemanden?« fragte Judith bissig.
Ihr Mann lachte. »Noch nie. Und vielleicht ist es Hugo und seinem ungewöhnlichen Mündel recht, wenn sie möglichst wenig empfindsam ist.«
»Er hat wirklich einen außergewöhnlichen Haushalt.«
»Interessant«, sagte Marcus noch einmal.
»Ja, sehr«, stimmte ihm Judith zu.
KAPITEL 18
Ihre Mädchenaugen waren fest auf die gewölbte, im Dunkeln liegende Decke gerichtet. Undeutlich spürte sie die Wärme der Kerzenflammen an ihrer nackten Brust. Sie lag auf einer Bahre in der Mitte der Krypta, und ihr Körper war durch Altarkerzen beleuchtet, die neben dem Tisch standen.
Ein maskiertes Gesicht beugte sich über sie, und sie wandte in mattem Widerstand den Kopf ab, als man ihr einen Kelch an die Lippen hielt.
»Sei nicht dumm«, sagte der Mann rauh. Er hob mit einer Hand ihren Kopf und drückte den Kelch an ihren Mund.
Das Mädchen öffnete den Mund, und der aromatisch duftende Inhalt wurde ihr in die Kehle gegossen. Sie fiel zurück auf das weiße Kissen. Eine Unklarheit erfüllte ihren Kopf, und eine große, warme Trägheit breitete sich in ihren Gliedern aus. Sie wußte nicht, wie lange sie jetzt schon in dieser dunklen Tiefe lag. Sie konnte sich nicht erinnern, wie oft man sie schon gezwungen hatte, aus dem Kelch zu trinken. Sie erinnerte sich nur undeutlich an die Börse mit Gold, die vor einiger Zeit in dem kleinen Holzhaus ihres Onkels den Besitzer gewechselt hatte ... vor langer, langer Zeit. Ihr Onkel hatte das Gold eingesteckt, und der seltsame Mann mit der schwarzen Maske hatte sie mit sich fort genommen.
Sie spürte Hände auf ihrem Körper, die sie streichelten, sanfte-angenehme, kleine Berührungen, unter denen sie sich regte und stöhnte. Fern irgendwo in den Tiefen ihres Gehirns verband sie das Getränk mit diesen eigenartigen Gefühlen der Erregung. Als man ihr die Schenkel öffnete, wehrte sie sich nicht, denn inzwischen trieb sie schon in einer Traumwelt aus Schattengestalten und Schattenempfindungen dahin. Der scharfe Schmerz, den sie empfand, als ein Mann in ihren Körper eindrang, war ein Traum, und das schnelle, tiefe Stoßen tief in ihrem Innern schien nichts mit ihr zu tun zu haben und doch irgendwo aus ihrem eigenen Fleisch hervorzukommen.
Crispin schloß die Augen, als die Lust zunahm, während er diesen bleichen Körper besaß, der so still unter ihm lag. Die Augen der anderen waren auf ihn gerichtet, sie beobachteten ihn bei diesem Initiationsritus im Licht der flackernden Kerzen in der kalten Gruft. Hinter seinen geschlossenen Lidern sah er Chloe unter sich liegen, unterworfen, seinem Genuß verpflichtet, während ihre hochmütige Frechheit für immer zum Schweigen gebracht wurde, indem er sie vor den interessierten, lustvollen Blicken der Bruderschaft mißbrauchte. Und Jasper hielt immer, was er versprach, so wie er auch seine Drohungen immer ausführte.
Jasper lehnte sich mit verschränkten Armen nach hinten an eine Säule, und sein Blick hinter der Maske wanderte über das lebendige Bild auf der Bahre vor ihm. Wie auch sein Stiefsohn sah er im Geiste einen anderen Körper statt den des Bauernmädchens. Hugo Lattimer hatte die Bruderschaft um Elizabeth Gresham gebracht, aber ihre Tochter würde diesen Mangel aus-gleichen. Und diesmal würde sich niemand einmischen. Er würde jede Beleidigung rächen, die Lattimer ihm angetan hatte, indem er ihm das Mädchen und ihr Vermögen entzog. Und dann würde Lattimer nicht nur die Demütigung erleiden, die Wünsche der sterbenden Geliebten nicht erfüllen zu können, sondern würde auch noch Zusehen müssen, wie die Tochter den Platz einnahm, der vor vierzehn Jahren für ihre Mutter gedacht gewesen war. Und wenn es vorüber war, würde Hugo Lattimers Blut die granitenen Grabsteinplatten der Krypta färben, indem Jasper den Tod seines Vaters rächte.
Stephen Gresham hatte von Hugos leidenschaftlichen Gefühlen für seine Frau gewußt. Er hatte die Absicht gehabt, Elizabeth in der Krypta an Hugo zu vergeben - ein böses Geschenk, das ihn sicher zutiefst befriedigt hätte. Hugo war durch die Bande der Bruderschaft zu absolutem Gehorsam vor ihrem Anführer gezwungen. Er wäre dort gezwungen gewesen, dem Objekt seines süßlichen Mitleids und seiner idealistischen Phantasien Gewalt anzutun, und hätte dabei wieder einmal die wichtigste Lehre der Krypta erfahren: Nichts ist heilig.
Statt
Weitere Kostenlose Bücher