Im Schatten der Leidenschaft
und Hugo konnten sich stundenlang über Musik unterhalten, und er sagte, sie hätte eine unglaublich schöne Stimme. Er begleitete sie bei jeder passenden Gelegenheit beim Singen, und selbst Chloe mußte zugeben, daß die zwei sich wirklich gut zu ergänzen schienen. Erst vor ein paar Tagen hatte auch jemand schmerzhaft gemeint, es sehe wohl so aus, als wäre ihr Vormund auf dem Weg zum Traualtar.
Und was die Sache schlimmer machte: Er freute sich zwar immer, wenn sie nachts in sein Zimmer kam, schien aber oft an etwas anderes zu denken. Oder an jemand anderen, dachte sie bedrückt.
»Was hast du für Pläne für den Nachmittag, Mädel?« unterbrach er ihre trübseligen Gedanken.
»Noch gar keine.«
»Wie ungewöhnlich.« Hugo lächelte ihr spöttisch zu. »Steht diesmal wirklich nicht ein einziger junger Mann vor der Tür?«
Chloe reagierte weder auf das Lächeln noch auf die Bemerkung, weil sie sich über beides ärgerte.
»Vielleicht hast du Lust auf eine Stunde Gesangsunterricht«, schlug Hugo vor. »Wir könnten die irische Melodie von Moore üben, die dir so gut gefallen hat.«
»Wenn du möchtest«, sagte sie.
»Nein, Mädel, wenn du möchtest.«
Das war eines von Miss Anselms Lieblingsliedern. Chloe beschloß, daß sie nicht mit ihr konkurrieren wollte. Sie suchte nach einer Ausrede, die nicht kindisch und quengelig klingen würde, als Samuel ins Eßzimmer kam.
»Bei Peg ist es soweit«, sagte er ohne weitere Vorrede. »Ich dachte, Sie würden es vielleicht wissen wollen.«
Chloe sprang auf, und jeder Gedanke an Hugo und seine möglichen Bräute verschwand. »Ich gehe sofort zu ihr. Wir brauchen heißes Wasser, Samuel, ganz viel.«
»Ja, ich weiß schon«, sagte er. »Mrs. Herridge hat schon dafür gesorgt.«
»Oh je, sollten wir nicht lieber den Arzt rufen?« sagte Lady Smallwood. »Ich finde, daß nicht Chloe das machen sollte, Hugo. Es ist wirklich sehr unziemlich, wenn ein junges Mädchen mit solchen Dingen zu tun hat ... und mit einem solchen Geschöpf!« Peg war bei Hugos Kusine nicht besonders gut angekommen.
»So ein Unsinn«, sagte Chloe, und ihre Augen funkelten gefährlich. »Peg kann doch nichts dafür, daß sie so ist, wie sie ist. Und sie kann auch nichts dafür, daß sie schwanger ist. Sie sollten dankbar sein, Madam, daß Gott nicht vorgesehen hatte, daß Sie in Pegs Welt geboren wurden.« Und nach dieser Bemerkung verließ sie eilig das Eßzimmer.
Hugo verzog das Gesicht, als seine Kusine rot wurde vor Zorn. »Sie wird sich später entschuldigen, Madam«, sagte er. »Aber bei solchen Sachen wird sie immer gleich so leidenschaftlich.«
»Du unterstützt sie auch noch dabei«, sagte Dolly.
»Ich versuche nicht, sie davon abzuhalten, da gebe ich dir recht. Wenn jemand sich eine Sache derart fest in den Kopf gesetzt hat und dabei auch solche Fähigkeiten entwickelt, wäre es kriminell... und auch sinnlos.« Er stand auf. »Aber sie wird sich für ihre Frechheit entschuldigen, sobald sie darüber nachgedacht hat. Und wenn sie das nicht tut, erinnere ich sie wieder daran«, fügte er noch hinzu. »Und jetzt entschuldige mich bitte, ich werde wohl besser mal sehen, ob ich nicht irgendwie helfen kann.« Er blieb an der Tür stehen. »Peg ist selbst nur ein Kind, Dolly.«
Das Haus wurde den ganzen Nachmittag lang immer wieder von den Schreien des in den Wehen liegenden Mädchens erschüttert. Dolly zog sich mit ihrem Riechsalz in ihr Schlafzimmer zurück und versuchte, nicht hinzuhören. Samuel schaffte mit grimmiger Miene Krüge heißen Wassers und was Chloe sonst noch so brauchte die Treppen hinauf und hinunter. Hugo versuchte, in seiner Musik Frieden zu finden, und als ihm das nicht gelang, ging er in der Bibliothek auf und ab, als wenn er der werdende Vater wäre.
Um vier Uhr, als er die Untätigkeit nicht länger ertragen konnte, ging er hinauf zu dem hinteren Schlafzimmer, das Peg bekommen hatte, stand unentschlossen vor der Tür und hörte die Schreie. Die Haushälterin öffnete plötzlich die Tür und hastete hinaus. Hugo konnte das Bett sehen und Chloe, die sich über das Mädchen beugte.
Er trat herein. »Chloe?«
»Nimm ihre Hand«, sagte Chloe sachlich. »Ich kann den Kopf schon sehen, aber die arme Kleine ist so ängstlich, daß sie nicht mithilft, das Baby herauszudrücken. Vielleicht kannst du sie trösten.«
Gehorsam nahm Hugo die kleine, klauenartige Hand des
Kindes auf dem Bett. Pegs Schreie hatten sich vor lauter Erschöpfung in ein leises, monotones Jammern
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