Im Schatten der Leidenschaft
sich. »Sieh dich an.« Er zupfte an ihrem losen Dekollete. Sein Arm berührte flüchtig ihre Brust, und er schnappte unwillkürlich nach Luft, fuhr aber unbeirrt fort. »Um ein solches Kleid zu tragen, muß man etwas fülliger gebaut sein als du. Außerdem muß man sich das Gesicht schminken, eine Menge falschen Schmuck tragen und wenigstens zehn Jahre älter sein als du.«
Ihr Gesichtsausdruck wirkte matt. »Gefällt es Ihnen nicht?«
»Das ist noch untertrieben. Es ist ein absolut geschmackloses Kleidungsstück, in dem du lächerlich aussiehst.« Brutal, aber es erschien ihm doch nötig.
Sie biß sich auf die Lippe und legte den Kopf schief, während sie sich im Spiegel betrachtete.
»Mit den passenden Schuhen und dem richtigen Hut würde es besser aussehen.«
Hugo schloß die Augen, während er noch ein Stoßgebet zum Himmel schickte. Er legte seine Hände ruhig auf ihre Schultern. »Wenn ich dich nicht überzeugen kann, Chloe, werde ich von meinem Recht als Vormund Gebrauch machen und einen Befehl aussprechen.«
»Sie meinen, daß ich es nicht haben kann?« Sie hob das Kinn, und ihre Augen verdunkelten sich vor Ärger.
»Genau das meine ich.« Er begann geschickt, die Haken an ihrem Rücken zu öffnen. »Probiere eines von den anderen an, und ich bin sicher, du wirst sehen, wie viel hübscher du darin aussiehst.«
»Die anderen gefallen mir nicht«, sagte sie schlicht. »Ich will ausgefallen aussehen, nicht gewöhnlich.«
»Mein liebes Mädchen, es besteht nicht die geringste Gefahr, daß du je nur gewöhnlich aussehen könntest«, sagte er mit Überzeugung.
Sie sah ihn immer noch im Spiegel an, um zu prüfen, wie entschlossen er war. Aber diesmal hatte sie im Gegensatz zur vergangenen Nacht keinen Trumpf im Ärmel.
»Ich bin fest entschlossen, Mädel«, sagte er leise. »Wenn du mich mit deinen Blicken durchbohrst, wird das auch nichts ändern.«
Er wandte sich den anderen Kleidern zu und sah sie kurz durch. »Dieses hier paßt gut zu deinen Augen«, meinte er freundlich und hielt ein kleingemustertes Musselinkleid mit kornblumenblauer Schärpe und blauen Bändern hoch.
»Es ist so zurückhaltend«, murmelte Chloe.
»Es ist so passend«, gab er zurück und rief die Modistin wieder herein. »Miss Gresham wird dieses Kleid hier anprobieren.«
So würdevoll wie möglich ließ sich Chloe aus dem schillernden Kleid und in das Musselinkleid helfen. Madame Letty band die Schärpe um ihre schlanke Taille und sah sie lächelnd an.
»Sehr schön«, sagte sie. »Mary, hole bitte den Strohhut mit den blauen Bändern. Er wird genau dazu passen.«
Chloe schien nicht sehr überzeugt und trat eher finster aus dem Umkleidezimmer, um sich ihrem Vormund zu zeigen.
Ein Lächeln breitete sich auf Hugos Gesicht aus, während er sie betrachtete. »Komm her.« Er winkte sie zu sich und drehte sie wieder zum Spiegel. »Nun, Mädel, dieser Anblick würde sogar das erschöpfteste Auge aufmuntern.«
»Ach wirklich?« Chloe schaute sehnsüchtig zu dem schillernden Kleid hinüber.
»Das kannst du mir glauben.«
Als sie eine Stunde später das Geschäft von Madame Letty verließen, besaß Chloe drei Kleider, einen Samtmantel, den Strohhut und ein gutgeschnittenes, aber schlichtes Reitkostüm aus dunkelblauem Wollstoff. Hugo hatte ihr einen Dreispitz mit silbriger Feder dazu erlaubt, doch ansonsten die Auswahl mit eiserner Hand gelenkt. Chloe schwieg, während sie zum »Georg mit dem Drachen« zurückgingen, und Hugo versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, um ihre Enttäuschung zu lindern.
Plötzlich war Chloe nicht mehr an seiner Seite. Mit einem zornigen Ausruf schoß sie auf die Straße, duckte sich unter dem Pferdegespann eines Wagens hindurch und stürmte in die Mitte der vielbefahrenen Straße.
Hugo griff in die Zügel der scheuenden Pferde, ohne den Lenker des Wagens anzusehen, und starrte besorgt hinter Chloe her, die im Gewühl verschwunden war. Der junge Mann auf dem Kutschbock fluchte laut.
»Um Himmels willen, Mann, hören Sie auf zu fluchen und kümmern Sie sich um Ihre Pferde«, sagte Hugo ungeduldig, während sein Blick immer noch Chloe suchte.
Ohne weitere Antwort ließ der Fahrer seine Peitsche knallen. Das Pferd machte einen Satz nach vorn, und Hugo konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen. Gleichzeitig erkannte er auch die ausdruckslosen braunen Augen des Fahrers auf dem Bock. Chloe war genau Crispin Belmont vor den Wagen gelaufen.
Er sah zu, wie der Wagen schnell, ganz gemäß dem
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