Im Schatten der Leidenschaft
Krawattennadeln oder Ringe. Doch sein Geschmack in bezug auf Mätressen schien bei den ganz jungen Mädchen zu liegen. Allerdings war diese junge Dame ein Diamant von erster Güte.
Mit einem Lächeln fragte Madame Letty, wie sie den Herrschaften dienen könne. Ihr Lächeln wurde berechnend, als der Herr erklärte, sein Mündel brauche zunächst ein Reitkostüm und wenigstens zwei Tageskleider.
»Für eine Debütantin?« fragte sie und nickte zufrieden. Dies versprach, ein gutes Geschäft zu werden. Ein Vormund begleitete sein Mündel üblicherweise nicht beim Einkauf, aber ihr Verhältnis zueinander spielte keine Rolle beim Profit.
»Genau.« Hugo konnte sich in etwa denken, was die Modistin in bezug auf die Art ihrer Beziehung annahm, doch so lange sie ihre Arbeit vernünftig machte, konnte sie glauben, was sie wollte.
Madame Letty rief ein etwa dreizehnjähriges Mädchen von hinten in den Laden. Sie knickste, faltete ihre von Arbeit geröteten Hände und ließ den Blick gesenkt. Auf die Anweisung ihrer Arbeitgeberin hin holte sie aus dem Hinterzimmer mehrere Kleider, die sie ihren Kunden zur Begutachtung vorlegte.
Chloe war nicht beeindruckt. Die Tageskleider waren alle aus gemustertem Musselin oder ähnlichem Stoff, züchtig geschnitten und mit Spitze besetzt. Doch auf einem Regal in der Ecke des Raums lag etwas, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie ging hinüber und zog ein Kleid aus pfauenblauem Taft heraus, das großzügig mit Silberfäden verziert war.
»Das ist wirklich hübsch.« Sie hielt es vor sich. »Ist das nicht ein herrliches Kleid?« Ihre Hände streichelten den Stoff. »Es glänzt so wunderschön.«
Hugo zuckte zusammen, und Madame Letty räusperte sich. Die kleine Angestellte legte eine Hand über den Mund, um ein Grinsen zu verbergen.
»Ich glaube, Musselin würde bequemer sein, Miss«, sagte Madame Letty.
»O nein, ich will kein so langweiliges Kleid«, erklärte Chloe mit einer abweisenden Geste zu den anderen Kleidern hin. »Das hier gefällt mir. Ich möchte etwas Ausgefallenes.«
»Also in dem da würdest du ganz sicher auffallen«, sagte Hugo.
»Darf ich es anprobieren?«
Die Modistin sah flehend zu dem Gentleman, der schließlich nickte. Mit offensichtlichem Widerwillen deutete sie auf einen Ankleideraum. »Bitte hier entlang, Miss. Mary wird Ihnen helfen.«
Hugo setzte sich auf ein Sofa und wartete auf die ihm bevorstehende Erscheinung. Er hatte die schwache Hoffnung, daß Chloe, wenn sie selbst sah, wie lächerlich sie in einem Kleid wirkte, das für die Ansprüche einer wohlhabenden Hure gedacht war, von allein darauf verzichten würde.
Die Hoffnung bewahrheitete sich nicht. Chloe kam strahlend aus dem Ankleideraum und eilte auf ihn zu. »Ist es nicht wunderschön? Ich fühle mich phantastisch.« Sie drehte sich vor dem Spiegel im Kreis. »Es ist ein wenig groß, aber ich bin sicher, daß es sich ändern läßt.« Sie rückte den Rand des Dekolletes mit gerunzelter Stirn etwas zurecht. »Es ist allerdings etwas tief ausgeschnitten, nicht wahr?«
»Viel zu tief«, erklärte Hugo.
»Ich könnte ja ein Tuch dazu tragen«, sagte sie fröhlich. »Dieses Kleid möchte ich kaufen. Oh, und wissen Sie, was gut dazu passen würde? Der große Tüllhut, den wir bei der Hutmacherin im Fenster gesehen haben.«
Hugo schloß die Augen und betete um Kraft. »In dem Hut würdest du aussehen wie ein zerdrückter Kürbis. Er ist viel zu groß für dein Gesicht.«
Chloe wirkte verärgert. »Nein, bestimmt nicht. Wie können Sie das wissen, bevor ich ihn anprobiert habe?«
Hugo hatte irgendwie angenommen, daß Frauen mit einem Gefühl für Kleidung geboren werden, so wie sie mit zehn Fingern zur Welt kommen. Aber offensichtlich war das eine erworbene Fähigkeit... die dieses beinahe mutterlos in einem Internat aufgewachsene Kind nicht mitbekommen hatte.
Die Lage erforderte drastische Maßnahmen. Er stand auf.
»Würden Sie uns für eine Minute entschuldigen?« fragte er Madame Letty. »Ich würde gern mit meinem Mündel ein paar Worte unter vier Augen sprechen.«
Die Modistin schob ihre Helferin aus dem Laden, und Hugo holte tief Luft. Chloe sah ihn ernsthaft fragend an.
Er kam zu ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zum Spiegel um. »Jetzt hör gut zu, Mädel. Dieses Kleid ist für eine Frau von der Quay Street gemacht.«
»Und was für Frauen leben in der Quay Street?« Sie sah ihn stirnrunzelnd im Spiegel an.
»Huren«, sagte er kurz. Ihre Augen weiteten
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