Im Schatten der Leidenschaft
das Haus kennenIernen, mich damit vertraut machen, was wo ist. Und die Briefe vom Rechtsanwalt und den Damen Trent habe ich auch gefunden.« Zu spät fiel ihr ein, daß sie noch gar nicht entschieden hatte, ob sie den letzteren Brief überhaupt erwähnen sollte. »Ich wollte sie Ihnen geben. Bitte ... lassen Sie mich los.«
»Ich nehme ja wohl kaum an, daß es nötig war, sie mir zu geben, während ich schlafe«, bemerkte er und fragte sich, warum ihre einfache Erklärung wohl so überzeugend klang. Er ließ ihr Handgelenk los. »Also bitte.«
Sie stand auf, und er spürte ihr leichtes Gewicht nicht mehr, auch nicht den Duft ihres Haares und ihres Körpers. Überhaupt wurde ihm erst jetzt bewußt, daß er ihren zarten Duft wahrgenommen hatte - Rosenblüten und Lavendel, dachte er, und eine Spur von Kleehonig.
»Mach einen Schritt zurück, damit ich dich ansehen kann.«
Chloe gehorchte und betrachtete ihn vorsichtig, während sie ihren schmerzenden Arm rieb. Sie war es gewöhnt, kühl empfangen zu werden, doch dies war eine entschieden unangenehme Erfahrung gewesen.
Hugo setzte sich etwas weiter zurück, während er abwesend bemerkte, daß sein Kopfschmerz verschwunden war und er sich so gut fühlte wie gewöhnlich, wenn der Kater einigermaßen abgeklungen war ... bis zum nächsten Mal. Durch einen Blick auf die Uhr stellte er fest, daß er eineinhalb Stunden geschlafen hatte. Eine recht kurze Nacht, doch das mußte reichen. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem jungen Mädchen zu, betrachtete es zum ersten Mal genau, während er festzustellen versuchte, ob es wirklich seiner Mutter ähnelte.
Erschreckt stellte er fest, daß Chloe Gresham atemberaubend schön war. Er hatte Elizabeth immer für schön gehalten, und ihre Tochter besaß alle Eigenheiten ihrer Schönheit, doch wo immer Elizabeth kleine Schwächen gehabt hatte, war ihre Tochter makellos. Elizabeths Mund war eine Spur zu klein gewesen, ihre Augen ein kleines bißchen zu nah beieinander, ihre Nase ein wenig zu lang. Keine wirklich erkennbaren Makel, außer im Vergleich zur völligen Vollendung.
Das blonde Haar des jungen Mädchens war glatt aus der Stirn gebürstet und hing in zwei dicken Zöpfen über ihren Rücken. Dadurch wirkte ihr Haar weniger glänzend, und ihr Gesicht war in jedem Zug klar erkennbar. Trotzdem wurde ihre überirdische Schönheit dadurch nicht beeinträchtigt.
Ihr Körper war in ein formloses Schulmädchenkleid aus schmutzigbraunem Serge gehüllt, das sie einengte, wo es nicht sollte, und locker saß, wo es unschön wirkte. Ein geschickt entworfenes Kleidungsstück, dachte er, wenn es darum geht, die Weiblichkeit der Trägerin zu verbergen. Aber nicht geschickt genug, um die zartgliedrige, zerbrechliche Vollendung von Chloes wohlproportioniertem Körper zu verhüllen. Worauf sein Körper wieder reagierte, was er natürlich zu ignorieren versuchte.
»Öffne dein Haar.«
Der knappe Befehl erschreckte sie, doch sie löste gehorsam ihre Zöpfe und kämmte ihr Haar mit den Fingern aus.
Die Wirkung war verblüffend. Goldglänzend fiel ihr Haar dick und glatt über ihren Rücken herunter, umrahmte ihr Gesicht, brachte das Blau ihrer Augen und das zarte Pfirsichblütenrosa ihrer Haut zum Leuchten.
»Herr im Himmel«, flüsterte er leise und stellte dann fest: »Das ist wirklich ein scheußliches Kleid.«
»Oh, das weiß ich«, erwiderte sie fröhlich. »Und ich habe bestimmt ein ganzes Dutzend davon. Ich glaube, sie sollen den Sinn haben, mich vor den Nachstellungen des Vikars und Miss Trents Neffen und des Metzgerjungen zu bewahren.«
»Aha«, sagte er. »So ist das also.« Er lehnte sich zurück und betrachtete sie durch halbgeschlossene Lider. Diesem Leuchten konnte wohl kaum ein junger Mann widerstehen. Natürlich mußte jemand, der für sie verantwortlich war, wenn möglich versuchen, es etwas zu dämpfen.
Chloe stand unverändert weiter neben seinem Bett und erwiderte seine Betrachtung. Seine Decke war bis zur Taille hinuntergerutscht, und ihr faszinierter Blick heftete sich auf ein kleines Muster, das über dem Herzen in seine Haut tätowiert war. Es sah aus wie eine zusammengerollte Schlange. Sie hatte noch nie einen Mann ohne Hemd gesehen und versuchte auch nicht, ihr Interesse zu verbergen. An seinem Oberkörper war kein Gramm zuviel, auf einem kräftigen Hals wirkte sein Kopf löwenhaft durch das weit vorspringende Kinn. Sein kastanienbraunes Haar war lang und hing ihm in die breite Stirn. Seine Fältchen zogen
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