Im Schatten der Leidenschaft
er ihr, einer gebrochenen Einsiedlerin, hätte helfen können? Wenn er sich nicht auf ihren Wunsch hin von ihr ferngehalten hätte, ob es ihm dann vielleicht gelungen wäre, sie von ihrer Laudanumsucht zu befreien, die schon zur Zeit von Stephens Tod recht ausgeprägt gewesen war? Stephen hatte diesen Opiumabkömmling verwendet, um seine Frau unter Kontrolle zu behalten, und Elizabeth hatte nur recht wenig Kontakt zur Wirklichkeit gehabt.
Die Erinnerungen an all die Gewalttätigkeit, die alten Frauen, sein ewiger Ekel vor sich selbst kamen bitter und unbesiegbar wieder an die Oberfläche. Er schloß die Augen und spürte den Geruch der Krypta wieder in der Nase, sah eine Reihe von halb entkleideten Frauen, mit von Trunkenheit und Erregung wilden Blicken, vor seinem inneren Auge vorüberziehen. Er spürte auch seine eigene Erregung wieder, sah ihren Widerschein in den Augen der anderen Mitspieler. Das war sein Leben gewesen - diese einseitige Suche nach der größtmöglichen sinnlichen Lust. Sein Leben und das der anderen, aneinandergekettet durch Blut und Eid in einer eigenartigen Besessenheit, die jedem guten Geschmack zum Hohn gewesen war. Bis Stephen Gresham und sein Sohn völlig in den Bannkreis des Bösen geraten waren ...
Chloe, die sein Gesicht betrachtet hatte, machte instinktiv einen Schritt rückwärts zur Tür, denn seine Miene wurde zur Maske des Zorns, unbeweglich und wie gemeißelt. Er öffnete die Augen, und sie schauderte angesichts des Ausdrucks darin. Es waren die gehetzten Augen eines Mannes, der einen Blick in die Hölle tat.
Und dann war es plötzlich vorüber. Er rieb sich die Augen und fuhr sich dann mit den Fingern durchs Haar. »Also, warum bist du fortgegangen von den Damen Trent?«
»Sie wollten mich nicht mehr.«
»Ach ja?« Er hob fragend die Augenbrauen. Er spürte ihre Unruhe und schloß daraus, daß sie die Frage unangenehm fand.
Chloe zog den Brief aus den Tiefen ihrer Tasche. »Es hing mit Miss Annes Neffen zusammen«, sagte sie. »Und das nach der Sache mit dem Vikar. Ich glaube nicht, daß ich schuld daran war, aber sie schienen anzunehmen, ich hätte sie ermutigt .« Die letzten Worte sprach sie in einem Ton, der wohl eine Nachahmung der fraglichen Miss Trent war. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie sie so etwas glauben konnten«, sagte sie bekümmert. »In jedem Fall wird es wohl alles hier drinstehen.« Sie schob ihm den Brief entgegen.
Er spürte genau ihren prüfenden Blick, als er das dicht beschriebene Blatt überflog, es schließlich zusammenknüllte und zum Kamin hinüberwarf. »Wirklich hübsch. Zwischen den Zeilen steht, daß du eine ziemliche Jezebel bist, Mädel. Eine verlogene, hinterlistige, betrügerische kleine Spielerin, vor der kein unschuldiger junger Mann sicher ist.«
Chloe errötete. »Das ist ungerecht. Was konnte ich schon dafür, daß der Vikar mir schöne Augen machte, seinen Kuchen fallen ließ und in der Kirche seine Predigt vergaß.«
»Nein«, stimmte ihr Hugo zu. »Ich bin sicher, daß du nichts dafür konntest. Dennoch entnehme ich der Information zwischen den Zeilen, daß das wirkliche Problem Miss Annes Neffe war.«
Chloes Gesichtsausdruck verwandelte sich in pure Abscheu. »Diese widerliche Kröte«, erklärte sie. »Seine Hände waren immer feucht, und er hatte so schreckliche vorgewölbte Lippen, mit denen er mich zu küssen versuchte, als wenn ich die Küchenmagd wäre. Er wollte mich heiraten, können Sie sich das vorstellen?«
»Ohne weiteres«, murmelte Hugo. »Und was hielt Miss Anne von seinen Absichten?«
»Sie war durchaus dafür«, erklärte Chloe.
Das überrascht mich nicht, dachte Hugo. Welche Tante würde ihrem Neffen nicht ein Vermögen von achtzigtausend Pfund wünschen?
»Doch als ich ihr sagte, was ich von Mr. Cedric Trent halte«, fuhr Chloe fort, »war sie ... nun ... schrecklich. Dann behaupteten sie und Miss Emily, daß ich einen schlechten Einfluß auf die anderen Mädchen hätte und daß ich nicht mehr länger bleiben könnte, auch wenn sie sehr bedauern würden, mich fortschicken zu müssen, da ich erst kürzlich verwaist wäre. Aber ich müsse im Interesse des Internats fortgehen. Also schrieben sie an Sie, und da Miss Ansley mit einer Postkutsche reiste, für die Lady Colshot bezahlte, war das genau die richtige Gelegenheit, daß sie mich auf dem Weg nach London bis hierher begleitete.«
»Ich verstehe.« Armes Mädchen. Die Geschichte sagte doch deutlich mehr aus, als Chloe ahnte - die dunkle
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