Im Schatten der Leidenschaft
geschehen ist?«
Wie konnte er eine solche Freude bedauern, oder die Kraft der unbeherrschbaren Leidenschaft verleugnen? Er tat Chloe kein Leid an, das wußte er jetzt. Sie war ihm trotz des großen Altersunterschiedes eine gleichwertige Partnerin. Und vielleicht war er am besten dafür geeignet, sie zu führen und zu lehren angesichts ihres unstillbaren Hungers nach Leben in allen seinen irdischen Facetten. Vielleicht hatte Elizabeth auch das gespürt. Selbst in ihrem Laudanum-Dämmerzustand hatte sie sicher das Gespür einer Mutter für die Eigenart ihrer Tochter besessen. Hatte sie gefürchtet, daß ihre Tochter, später - wenn sie dem Jungmädchenalter entwachsen war - nur ihren Gelüsten folgen würde? Unkontrolliert würden sie sie ruinieren. Hatte Elizabeth erkannt, daß ihre Tochter viel von Stephen hatte?
Chloe betrachtete ihn immer noch besorgt, und er sah wieder das neugierige Mädchen. Er erinnerte sich an die Offenheit ihrer Reaktionen. Solche Gelüste konnten nicht falsch sein, wenn sie nicht durch das Böse beherrscht waren. Man sollte dem Kind nicht die Sünden des Vaters nachtragen.
»Nein«, sagte er. »Ich bedauere es nicht, Liebes.«
KAPITEL 15
»Ich bin sicher, daß es eine einfache Antwort darauf gibt, Mädel, aber sag’ mir doch, warum du in der letzten Zeit keine Schuhe mehr trägst?« Hugo betrachtete die nackten Füße seines Mündels, als sie aus dem Obstgarten hereinkam. Die Erinnerung an ihre grasfleckigen nackten Sohlen vom vergangenen Tag war ihm noch sehr präsent.
»Weil ich keine habe«, antwortete sie einfach, nahm einen Apfel aus dem Korb und rieb ihn an ihrem Rock.
»Was meinst du damit, du hast keine? Natürlich hast du Schuhe.«
»Nur Schuhe, die wie brauner Serge sind«, erklärte sie und biß in den Apfel. »Klobige Stiefel, die dumm aussehen zu diesem Kleid.«
»Das Kleid sieht aus, als könnte es mal gewaschen werden«, stellte er fest. »Es wirkt, als hättest du den Stall damit ausgemistet.«
»Oh, das kommt nur von Rosinante und dem Staub in der Brennerei«, sagte sie und wischte achtlos über einen Fleck auf ihrem Rock. »Ich habe versucht, Plato dazu zu bringen, daß er eine von Beatrices Mäusen frißt, aber ich glaube, dazu ist er noch zu jung. Ich werde ihm wohl ein paar Würmer ausgraben müssen.«
»Was natürlich den Zustand deines Kleides entscheidend verbessern wird«, sagte Hugo trocken. »Ansonsten sollten wir wohl der Schuhe wegen einmal einkaufen gehen.«
»Einen Hut zum Reiten brauche ich auch wieder«, erinnerte ihn Chloe. »Den anderen habe ich auf St. Peter’s Fields verloren. Ich habe vor, mir einen Tschako zuzulegen. In Bolton habe ich einmal eine Frau mit einem Tschako reiten sehen. Es sah wirklich faszinierend aus.«
»Einen Tschako!« ächzte Hugo. »Für einen solchen Stil bist du doch viel zu klein, Mädel.«
»Quatsch«, erklärte Chloe. »Ich werde darin größer wirken. Gehen wir gleich heute morgen?«
»Wir können es eigentlich sobald wie möglich hinter uns bringen«, sagte Hugo.
»Dann werde ich mein Reitkostüm anziehen.«
»Gib mir Kraft«, murmelte Hugo, als sich die Tür nach ihrem schwungvollen Abgang schloß. »Ein Tschako! Was zum Teufel wird sie sich als nächstes ausdenken?«
»Ich denke, Sie werden sie schon im Griff behalten«, beobachtete Samuel und biß einen Faden ab. Er hielt das Hemd hoch, das er gerade repariert hatte, und schüttelte den Kopf. »Sie könnten sich auch gleich ein neues Hemd kaufen. Dieses hier ist inzwischen mehr Flicken als Hemd.«
»Kaum, da ich ja den Hufschmied erst noch bezahlen muß«, sagte Hugo und stand auf. Er seufzte. »Ach, was soll’s. Auf in den Kampf, heißt die Devise. Wünsch mir Glück, Samuel.«
Samuel lächelte trocken. »Wenn Sie glauben, daß Sie das brauchen.«
Hugos Lächeln war bekümmert. »Oh, täusch dich nicht, Samuel, ich werde alles Glück der Welt brauchen, um durch diesen Irrgarten sicher hindurchzufinden.«
Keiner von beiden hatte ihre Einkaufsfahrt gemeint. Hugo mußte dem alten Seemann nur selten etwas genau erklären. Sein Freund versäumte kaum etwas von dem, was um ihn her vorging.
»Sagen Sie dem Mädel, es soll das Kleid mit herunterbringen, dann wasche ich es, so lange Sie fort sind.«
»Ich glaube kaum, daß es deine Aufgabe ist, ihre Wäsche zu waschen«, sagte Hugo und runzelte die Stirn.
»Sie ist wirklich geschickt im Umgang mit Tieren«, sagte Samuel, »aber mir scheint, vom Waschen und Bügeln haben sie ihr in dem Internat nicht
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