Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
hingammelte, und sagte, daß er dann die wolle.«
»Ich bring das alles nicht richtig zusammen«, sagte ich.
»Der Ladenbesitzer hat durchs Fenster den Mann mit der Pralinenschachtel beobachtet. Unmittelbar bevor er den Parkplatz verließ, warf er die Pralinenschachtel in den Graben. Am nächsten Morgen ging der alte Knabe raus und fand sie im Unkraut. Das Zellophanpapier, mit dem die Packung versiegelt war, war nicht mehr da.« Sie beobachtete mein Gesicht. »Was denken Sie?«
»Hat er gesehen, wie der Mann das Mädchen mitgenommen hat?«
»Da ist er sich nicht sicher. Er weiß noch, daß der Mann einen dunkelblauen Wagen fuhr und daß die Bremslichter im Regen aufleuchteten.« Sie beobachtete immer noch mein Gesicht. »Hier ist das Ende vom Ganzen. Ich hab mich in den hinteren Regalen des Ladens umgesehen und fand dort noch eine Pralinenschachtel, die dem Besitzer zufolge identisch mit der ist, die der Mann im blauen Wagen gekauft hat. Jetzt raten Sie mal, welche Tönung das Cellophan hatte.«
»Rot oder purpur.«
»Exakt«, sagte sie und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Er hat es über eine Signallampe geklebt, stimmt’s?«
»Das nehme ich an.«
»Konnte der Ladenbesitzer den Kerl beschreiben?«
»Das ist das Problem.« Sie trommelte mit dem Kugelschreiber auf ihrer Schreibtischunterlage. »Alles, woran sich der alte Knabe erinnert, ist, daß der Mann eine Regenkapuze trug.«
»Schade. Warum hat er sich nicht früher bei uns gemeldet?«
»Er hat gesagt, er hätte all das jemandem vom Sheriff’s Department im Vermilion Parish erzählt, er wüßte nicht mehr, wem. Als er dort gestern noch mal angerufen hat, haben sie ihm meine Nummer gegeben. Arbeiten die verschiedenen Behörden hier immer so gut zusammen?«
»Immer. Hat er die Pralinenschachtel noch?«
»Er hat gesagt, er hätte die Pralinen an seinen Hund verfüttert und die Schachtel auf den Müll geworfen.«
»Das heißt also, daß wir es vielleicht mit einem Kerl zu tun haben, der sich als Polizist ausgibt, ja?« sagte ich.
»Das würde eine Menge erklären.«
Unbewußt betastete ich die Beule hinter meinem Ohr.
»Was ist?« sagte sie.
»Nichts. Vielleicht ist unser Mann ja doch nur ein Serienmörder und Psychopath. Vielleicht hat er nicht das geringste mit Julie Balboni zu tun.«
»Wie würden Sie das finden? Gut oder schlecht?«
»Kann ich wirklich nicht sagen, Rosie.«
»O doch, das können Sie«, sagte sie. »Sie hoffen immer, daß selbst der schlimmste Abschaum irgendwo tief in seinem Inneren einen Funken Gutes hat. Bei Balboni sollten Sie das lassen. Das einzige, was unter dem ganzen Walfett verborgen ist, ist ein echtes Stück Scheiße, Dave.«
Draußen fuhr der Häftling, der den Rasen mähte, mit dem Rasenmäher über einen Wassersprenger, so daß der Messingkopf abbrach. Ein harter Wasserstrahl überzog die Wand und tropfte von den Fenstern. In dem ratternden Lärm, in dem Bruchteil eines Augenblicks, in dem sich der Verstand von nassen Lichtfetzen ablenken läßt, mußte ich an Pferde denken, die einen reißenden Strom durchquerten, an sonnengebräunte Männer in Uniform, die über ihre Schultern einen letzten Blick nach hinten auf die sichere Deckung des rotgoldenen Laubwaldes werfen, während vor ihnen schmutzige Kavalkaden von Gewehrfeuern aus einem Waldhorizont in der Ferne brachen, in dem es vor unscharf verschwommenen Feinden nur so wimmelte.
Die Unschuldigen sind es, um die wir uns sorgen müssen
, hatte er gesagt.
Und wenn es darum geht, sie zu schützen, sollten wir nicht zögern, auch wenn wir es unter schwarzer Flagge tun müssen
.
»Sind Sie okay?« sagte sie.
»Yeah, schöner Tag heute. Lassen Sie uns über die Straße gehen, dann lade ich Sie auf ein Dr. Pepper ein.«
An jenem Abend sprengte ich in der Dämmerung den Rasen und die Blumenbeete im Garten hinter dem Haus, während Elrod und Alafair mit Tripod auf dem Picknicktisch spielten. Im schwächer werdenden Licht war die Luft abgekühlt und roch nach Hortensien und dem Wasser aus dem Schlauch und dem Dünger, den ich kurz zuvor an die Wurzeln meiner Rosenbüsche gegeben hatte.
Im Haus klingelte das Telefon, und einen Augenblick später brachte Bootsie den Apparat und das Verlängerungskabel zur hinteren Fliegentür. Ich setzte mich auf die Stufen und hielt den Hörer ans Ohr.
»Hallo«, sagte ich.
Ich konnte jemanden am anderen Ende der Leitung atmen hören.
»Hallo?«
»Ich will heut noch mit dir reden.«
»Sam?«
»Ja. Ich spiele heute in
Weitere Kostenlose Bücher