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Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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man ihn nie abtun können.

4
    Mein kurzer Besuch bei Julie Balboni hätte eigentlich nur ein kleines, unbedeutendes Zwischenspiel am Morgen sein sollen. Doch statt dessen hatte mein Gespräch mit ihm im Wagen ein irritierendes Fragezeichen hinter den Mord an Cherry LeBlanc gestellt. Er behauptete, nichts darüber gehört und auch in der örtlichen Zeitung nichts darüber gelesen zu haben. Und das zehn Minuten nachdem Cholo Manelli mir erzählt hatte, daß er und Baby Feet sich früher am Tage über den Tod des Mädchens unterhalten hatten.
    Log Baby Feet, oder hatte er einfach nur keinerlei Interesse an einem Gespräch über eine Sache, die nicht unmittelbar mit seinem Wohlbefinden zu tun hatte? Oder hatten gar die Elektroschock-Therapeuten in Mandeville Cholo zuviel Saft verpaßt?
    Meine Erfahrungen mit Mitgliedern der Mafia und Soziopathen im allgemeinen zeigten, daß sie selbstverständlich und automatisch lügen. Sie lügen überzeugend, weil sie es oft tun, wenn keinerlei Bedarf dazu besteht. Man könnte jetzt tief in die Kiste der forensischen Psychologie greifen, um zumindest ansatzweise zu verstehen, wie die Gedankenprozesse solcher Menschen ablaufen, aber genausogut könnte man seinen Kopf in den Mikrowellenherd stecken, um tiefergehende Erkenntnisse über die Elektrizität zu gewinnen.
    Den Rest des Tages verbrachte ich damit, die zeitlichen und räumlichen Umstände der letzten Stunden von Cherry LeBlanc nachzuzeichnen und mir in meinem Kopf ein Bild von der Welt zu machen, in der sie gelebt hatte. Um drei Uhr nachmittags parkte ich meinen Pickup im Schatten der alten Holzkirche von St. Martinville und betrachtete ein Farbfoto von ihr, das mir ihre Großeltern gegeben hatten. Ihr Haar war schwarz, mit einem Mahagoniton, der Mund grellrot mit übermäßig dickem Lippenstift, das Gesicht weich und noch ein bißchen rund vom Babyspeck; ihre dunklen Augen leuchteten und verbargen keine Hintergedanken; sie lächelte.
    Mit sechzehn wegen Prostitution verhaftet, mit neunzehn tot, dachte ich. Das waren die Dinge, die wir wußten. Nur Gott mochte eine Ahnung davon haben, was ihr sonst noch in ihrem Leben widerfahren war. Aber es war ja nicht so, daß sie so geboren worden war, als Nutte oder einfach die Art von Mädchen, das immer weitergereicht wurde, bis jemand eine Wagentür für sie öffnete und sie tief in ein Wäldchen fuhr, wo er ihr die Instrumente ihres schrecklichen Endes offenbarte, sie vielleicht sogar davon zu überzeugen verstand, daß sie selbst es war, die diesen Augenblick bestimmt hätte.
    Andere hatten mitgeholfen, sie auf diesen Weg zu bringen. Der erste Kandidat war für mich der Vater, der Kinderschänder, in Mamou. Aber unser Justizsystem richtet sein Augenmerk auf Substantive, selten auf Adverbien.
    Ich ließ meinen Blick über die ausladenden Eichen auf dem Friedhof der Kirche streifen, wo Evangeline und ihr Geliebter Gabriel begraben waren. Die Grabsteine waren von Flechten überzogen und wirkten im Schatten kühl und grau. Jenseits der Bäume spiegelte sich die Sonne wie eine gelbe Flamme im Bayou Teche.
    Ich fragte mich, wie der Freund hier reinpaßte. Ein so hübsches Mädchen hat entweder einen Beau, oder es gibt zumindest jemanden in ihrem Leben, der diese Rolle gern einnehmen würde. Sie war in der Schule nicht weit gekommen, aber aus schierer Notwendigkeit mußte sie einen Überlebensinstinkt im Umgang mit Menschen entwickelt haben, speziell mit Männern, und ganz gewiß mit der Sorte von Männern, die wie Treibgut in den Kneipen von Südlouisiana aus und ein gingen.
    Sie hatte ihren Mörder gekannt. Davon war ich überzeugt.
    Ich ging zu der Bar, einem baufälligen Holzhaus aus dem vorigen Jahrhundert, von dem die Farbe abblätterte und dessen obere Veranda schwer durchhing. Im Innern war es dunkel und kühl und nahezu menschenleer. Eine dicke schwarze Frau schrubbte die Vorderfenster mit einer Bürste und einem Eimer Seifenwasser. Ich ging durch das Lokal nach hinten zu dem kleinen Büro, wo ich schon einmal den Besitzer aufgesucht hatte. Entlang dem Tresen vor dem Barspiegel standen Reihen um Reihen von Flaschen – dunkelgrün und schlank, mit feuchten Korken verschlossen; obsidianschwarz mit arterienblutroten Wachssiegeln; milchig weiß wie Eis, das man aus der Oberfläche eines Sees herausgesägt hat; whiskeybraun, eine Rhapsodie aus Hitze und Licht.
    Der Geruch des grünen Sägemehls auf dem Fußboden, die Zapfhähne mit den Holzgriffen, von denen es durch einen

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