Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Schlüssel aus der Schreibtischschublade.
»Ich zeige heute einem neuen Jungen seine Tour. Ich muß jetzt abschließen. Wollen Sie noch hierbleiben und mit jemand anderem reden?« sagte er.
»Nein, ich muß los. Hier haben Sie meine Geschäftskarte für den Fall, daß Sie mich später noch kontaktieren wollen.«
Er ignorierte sie, als ich sie ihm hinhielt. Ich legte sie auf den Schreibtisch.
»Danke für Ihre Zeit, Sir«, sagte ich und trat wieder hinaus auf den Ladeplatz, in die erhitzte, zähflüssige Luft, das blendend grelle Licht, den kalkigen Geruch zertretener Austernschalen auf dem ungeteerten Parkplatz.
Als ich wieder zu meinem Pickup lief, erkannte ich einen älteren Schwarzen, der vor Jahren im alten Kühlhaus in New Iberia gearbeitet hatte. Er pickte am Straßenrand mit einem Stock, aus dessen Ende ein Nagel ragte, Müll auf. Er hatte einen Lumpen um seine Stirn gebunden, damit ihm der Schweiß nicht in die Augen rann, und das verrottete nasse Unterhemd, das er trug, klebte wie Streifen von Käseleinen an seinem Leib.
»Wie gefällt dir die Arbeit hier, Dallas?« sagte ich.
»Ganz gut.«
»Wie ist Mr. Twinky so als Boß?«
Seine Augen blickten kurz zurück zum Gebäude, dann grinste er.
»Er versteht’s, den Adler schreien zu lassen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Er ist knauserig?«
»Mr. Twinky ist so knauserig, daß er Miete von seinem eigenen Schatten verlangt.«
»So schlimm?«
Er strich an einer Eiche ein paar getrocknete Blätter vom Nagel an seinem Stock.
»War nur ein Scherz von mir«, sagte er. »Mr. Twinky zahlt das, was er einem versprochen hat, und er zahlt immer rechtzeitig. Er ist gut zu Schwarzen, Mr. Dave. Da gibt’s nichts dran zu rütteln.«
Wieder zurück in New Iberia, ging ich nicht ins Büro. Statt dessen rief ich von zu Hause dort an. Der Sheriff war nicht da.
»Wo ist er?« sagte ich.
»Wahrscheinlich auf der Suche nach dir«, sagte der Dispatcher. »Was ist los, Dave?«
»Nicht viel.«
»Sag das der Schmalzlocke, mit der du heute morgen die Möbel poliert hast.«
»Hat er Anzeige erstattet?«
»Nein, aber ich hab gehört, daß der Wirt einen Zahn von dem Kerl mit dem Schraubenzieher aus dem Tresen pulen mußte. Du hast’s voll raus, Dave.«
»Richte dem Sheriff aus, daß ich nach New Orleans fahre, um dort ein paar Sachen nachzuprüfen. Ich rufe ihn heute abend an, wenn nicht, seh ich ihn morgen früh im Büro.«
»Ich hab so den Eindruck gehabt, daß es vielleicht ganz gut wäre, wenn du heute nachmittag noch vorbeikämst.«
»Ist Agent Gomez da?«
»Yeah, bleib dran.«
Wenige Augenblicke später ging Rosie an ihren Apparat.
»Dave?«
»Wie geht’s?«
»Mir geht’s gut. Wie geht es Ihnen?«
»Prächtig, prächtig. Ich habe gerade mit Ihrem Freund Twinky Lemoyne geredet.«
»Ach ja?«
»Sieht so aus, als seien Sie ihm auf den Schlips getreten.«
»Warum sind Sie dann noch mal zu ihm gegangen?«
»Man darf die nie denken lassen, daß sie einen ins Bockshorn jagen können.«
»Einen Moment mal. Ich will die Tür zumachen.« Einen Augenblick später nahm sie den Hörer wieder und sagte: »Dave, was auch immer hier geschieht, auf meinen Job oder meine Karriere wird das keine nennenswerten Auswirkungen haben. Aber Sie sollten zur Abwechslung vielleicht mal dran denken, sich ein paar Gedanken über Ihren Kopf zu machen.«
»Ich hatte gestern eine ziemlich üble Nacht und hab mich heute morgen ziemlich dumm benommen. So wie’s halt manchmal kommt«, sagte ich.
»Davon rede ich nicht, und ich glaube, das wissen Sie auch. Wenn man Geld aus einer Gemeinde verprellt, entdecken bestimmte Leute ungeahnte Tiefen in sich.«
»Haben Sie was Neues über das erstickte Mädchen aus Vermilion Parish?«
»Ich komm grad aus dem Büro des Leichenbeschauers. Sie ist immer noch nicht identifiziert.«
»Meinen Sie, es handelt sich um denselben Kerl?«
»Bandage, Erniedrigung des Opfers, ein langwieriger Tod, wahrscheinlich sexuelle Gewalt, das ist dasselbe Schwein, das können Sie mir glauben.« Ich hörte einen scharfen Unterton in ihrer Stimme, wie eine Glasscherbe.
»Ich hab auch schon ein paar Theorien«, sagte sie. »Er hat die letzten zwei Opfer so hinterlassen, daß wir sie leicht finden konnten. Vielleicht wird er immer zwanghafter, verzweifelter, so daß er sich weniger unter Kontrolle hat. Die meisten Psychopathen erreichen irgendwann einmal einen Punkt, wo sie wie Haifische im Freßrausch sind. Sie können ihre Obsession nie mehr
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