Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
späten Nachmittag wieder ins Büro kam, war ihr Gesicht von der Hitze gerötet, und das dunkle Haar klebte feucht auf ihrer Haut. Sie ließ die Handtasche auf ihren Tisch fallen und legte die Arme auf die Klimaanlage, so daß die kühle Luft in ihre ärmellose Bluse blies.
»Und dabei dachte ich immer, Texas ist der heißeste Ort der Erde. Wie hat hier überhaupt jemand leben können, bevor die Klimaanlage erfunden wurde?« sagte sie.
»Wie ist’s bei Ihnen heute gelaufen?«
»Geben Sie mir einen Moment, dann erzähl ich’s Ihnen. Verdämmt, war das heiß da draußen. Was ist mit dem Regen passiert?«
»Keine Ahnung. Ungewöhnlich, daß er ausbleibt.«
»Ungewöhnlich? Ich hab mich gefühlt, als würde ich in feuchte Kohlblätter gerollt bei lebendigem Leib gekocht. Das nächste Mal sollen die mich gefälligst auf die Aleuten schicken.«
»Tja, die Handelskammer ist wohl nichts für Sie, fürchte ich, Rosie.«
Sie ging wieder zu ihrem Tisch, blies sich den Atem ins Gesicht und öffnete die Handtasche.
»Was haben Sie heute angestellt?« fragte sie.
»Ich habe versucht, ein paar dieser alten Fälle aufzurollen, aber das ist ziemlich aussichtslos – die zuständigen Beamten haben den Dienst quittiert oder sind pensioniert worden oder erinnern sich schlichtweg nicht mehr daran, Akten sind unauffindbar, solche Sachen halt. Aber eine interessante Sache ist da doch gewesen –« Ich breitete ein Dutzend Faxblätter vom National Crime Information Center auf meinem Schreibtisch aus. »Wenn ein Täter mehrere dieser ungeklärten Morde begangen hat, dann sieht es nicht so aus, als ob er jemals außerhalb des Staates tätig geworden ist. Mit anderen Worten, es scheint keine ungeklärten Frauenmorde zu geben, die im selben Zeitraum in den angrenzenden Gebieten von Texas, Arkansas oder Mississippi verübt wurden.
Was darauf schließen läßt, daß unser Mann nicht nur von hier ist, sondern aus irgendeinem Grund seine Mordtaten auch auf den Staat Louisiana beschränkt hat.«
»Das wär ja mal was ganz Neues«, sagte sie. »Im Normalfall ziehen Serienmörder durchs Land, es sei denn, sie suchen sich ihre Opfer in einer ganz bestimmten Bevölkerungsgruppe, Homosexuelle oder Prostituierte beispielsweise. Egal, sehen Sie doch mal, was da heute im Unkraut zum Vorschein kam.«
Sie hielt einen Plastikbeutel hoch, in dem sich ein Taschenmesser mit messingbeschlagenem Holzgriff befand. Die Klinge war hochgeklappt und rostbefleckt.
»Wo haben Sie das gefunden?«
»Eine halbe Meile weiter unten am Damm, wo man das Mädchen in dem Faß gefunden hat. Etwa einen Meter tief im Gestrüpp.«
»Sie haben das ganze Areal alleine abgesucht?«
»Mehr oder weniger.«
Ich sah sie einen Augenblick an, bevor ich wieder etwas sagte.
»Rosie, Sie sind ja gewissermaßen neu hier in der Gegend. Aber dieser Damm wird die ganze Zeit von Anglern und Jägern frequentiert. Da bleibt manchmal schon was zurück.«
»Die ganze Mühe umsonst, ja?« Sie lächelte und schob sich eine Haarsträhne von der Augenbraue.
»Das hab ich nicht gesagt –«
»Da ist noch was, das hab ich Ihnen noch nicht gesagt. Da draußen ist mir ein älterer Schwarzer über den Weg gelaufen, der von seinem Pickup runter Catfish und Froschschenkel verkauft. Er hat gesagt, daß er vor ungefähr einem Monat spät in der Nacht einen weißen Mann mit einem neuen blauen oder schwarzen Wagen gesehen hat, der mit einer Taschenlampe etwas auf dem Damm suchte. Und genau wie dieser Alligatorwilderer, den Sie vernommen haben, hat er sich gefragt, was jemand nachts da mit einem neuen Auto verloren hat. Er hat gesagt, der Mann mit der Lampe habe weder einen Bootsanhänger bei sich gehabt, noch sei er in Begleitung einer Frau gewesen. Offenbar sind das für ihn die beiden einzigen vernünftigen Erklärungen, warum jemand dort aufkreuzen sollte.«
»Hat er Ihnen eine Beschreibung des Weißen geben können?«
»Nein, er hat gesagt, er sei damit beschäftigt gewesen, zwischen zwei Jagdsitzen eine Halteleine zu präparieren. Was soll das überhaupt sein, eine Halteleine?«
»Man spannt eine lange Schnur über dem Wasser und befestigt sie an zwei Baumstümpfen oder im Wasser stehenden Bäumen. Dann hängt man daran in Abständen 30 Zentimeter lange Leinen mit Bleigewichten, Haken und Ködern. Die Welse kommen im Mondlicht zur Nahrungsaufnahme an die Wasseroberfläche, und wenn sie anbeißen, verbeißen sie sich für gewöhnlich so heftig in den Haken, daß der sich tief in den Kopf
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