Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Stunden, die wir bereit waren, für solche Gedanken aufzuwenden. Aber eine unabänderliche Schlußfolgerung blieb mir den ganzen Tag vor Augen und machte mir das Herz schwer, als ich mit Rosie sprach, mit dem Sheriff, sogar mit den Deputies, die sich die Mühe machten, mir durch meine Bürotür hindurch guten Morgen zu wünschen – Kelly Drummond war tot, und sie war tot, weil man sie mit mir verwechselt hatte.
Ich sah gar nicht, wie Mikey Goldman in mein Büro trat. Ich hob den Kopf, und da stand er. Er dehnte die Fußballen, die vorstehenden hellen Augen streiften wild durch den ganzen Raum, und in seinem Kiefer zuckte ein sehniger Knorpel wie ein wildgewordenes Zehncentstück.
»Darf ich mich hinsetzen?« fragte er.
»Nur zu.«
»Wie geht’s Ihnen?«
»Danke, gut. Und selbst?«
»Ich bin okay.« Seine Augen musterten mich von Kopf bis Fuß, als wäre ich ein Gegenstand, den er zum ersten Mal erblickte.
»Kann ich etwas für Sie tun?« fragte ich.
»Welcher Scheißkerl hat das getan?«
»Wenn wir das wissen, kommt er hinter Gitter.«
»Hinter Gitter? Wär es nicht besser, ihm den Schädel wegzublasen?«
»Was ist los, Mr. Goldman?«
»Wie kommen Sie damit zurecht?«
»Bitte?«
»Wie kommen Sie damit zurecht? Ich rede von Ihnen. Ich hab’s am eigenen Leib miterlebt, mein Freund. Erste Division der Marines, Chosin Reservoir. Also versuchen Sie nicht, mich zu verarschen.«
Ich legte meinen Füllfederhalter auf die Schreibtischunterlage, faltete die Hände und starrte ihn an.
»Ich fürchte, wir zwei sind nicht ganz auf derselben Wellenlänge«, sagte ich.
»Ach ja? Ich weiß doch, wie’s ist. Direkt neben dir erwischt’s einen, da kommt’s schon, daß man sich fragt, ob man nicht insgeheim froh ist, besser der als man selbst. Lieg ich da falsch?«
»Was wollen Sie?«
Er strich sich über die krausen, salz-und pfefferfarbenen Locken in seinem Nacken und stierte mit rollenden Augen quer durch den Raum. Die Haut um seinen Mund war straff gespannt, Kinn und Kiefer auf eine martialische Art nach vorne gereckt, wie ein Schleifer bei der Grundausbildung.
»Elrod dreht mir durch. Ich weiß es, ich hab’s mit ihm schon erlebt. Er ist ein guter Junge, aber er hat schon vor langer Zeit einen Teil seines Großhirns gegen Drogenpilze eingetauscht. Sie mag er, auf Sie wird er hören. Können Sie mir folgen?«
»Nein.«
» Sie können ihn bei sich aufnehmen, Sie können auch zu ihm ziehen, mir egal. Ich werde diesen Film zu Ende bringen.«
»Sie sind unglaublich, Mr. Goldman.«
»Was?« Er bog die Finger nach hinten, als wolle er Worte aus meiner Brust zerren. »Hat man Ihnen gesagt, ich hätte keinerlei Gefühle, meine Schauspieler sind mir scheißegal, und die Leute vom Film sind eh alle gefühllose Schweine?«
»Bevor Sie nach New Iberia gekommen sind, hab ich Ihren Namen noch nie gehört. Aber mir kommt es trotzdem so vor, als ob Sie nur an eine Sache denken – daß Sie das bekommen, was Sie wollen. Wie auch immer, ich habe kein Interesse daran, mich um Elrod Sykes zu kümmern.«
»Wenn ich den Scheißkopf in die Finger bekomme, der Kelly erschossen hat, werden Sie ihn von der Tapete wischen müssen.«
»Irgendwann werden wir diesen Kerl erwischen, Mr. Goldman. Aber in der Zwischenzeit hört man es in einem Sheriff’s Department nicht so gern, wenn jemand mit Selbstjustiz prahlt. Was ich im übrigen auch keinesfalls glaubwürdig finde.«
»Wie?«
»Stellen Sie sich doch mal folgende Frage: Wie viele Profikiller – und der Kerl, der das getan hat, ist ein Profi – gibt es wohl in einem Landkreis wie diesem hier? Nächste Frage: Es gibt eine wohlbekannte Gruppe von Berufskriminellen, die sich gegenwärtig bei uns in New Iberia aufhält – wer könnte das sein? Antwort: Julie Balboni und die Neandertaler in seinem Schlepptau. Nächste Frage: Wer produziert zusammen mit diesen Typen einen Film?«
Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, klopfte mit den Handgelenken leicht auf die Lehne, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, die Augen unstet wie Quecksilber, in einem Augenblick fast amüsiert, dann unvermittelt nach innen gekehrt, fixiert auf ein nagendes Problem.
»Mr. Goldman?« sagte ich.
»Ja? Haben Sie noch was auf der Pfanne?«
»Nein, Sir, nichts.«
»Gut. Das ist gut. Sie sind kein schlechter Mensch. Sie stecken nur bis zur Nasenspitze in der eigenen Scheiße. Das ist nur menschlich.«
»Ah ja Ich geh jetzt mal den Flur runter, um mir eine Tasse Kaffee zu holen«, sagte ich.
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