Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Richtung des Ufers und sah ihm ins Gesicht. Der alkoholische Glanz war aus den Augen verschwunden. Jetzt waren sie einfach leer, an der Grenze zur Reumütigkeit.
»Soll ich runter ins Wasser kommen und das machen?« fragte er. Dann blickte er weg, irgendwohin ans andere Ufer.
»Nein, schon in Ordnung«, sagte ich. Ich kletterte auf den Bug meines Boots und von dort über die Reling der Yacht. »Schauen wir doch mal, was sich tut. Wenn ich Sie nicht loskriege, mach ich meinen Motor am Bug fest und versuche, Sie seitwärts in die Strömung zu ziehen.«
Wir gingen nach innen ins Trockene der Kabine und schlossen die Tür. Kelly schlief auf ein paar Kissen, das Gesicht in einen Arm geschmiegt. Als sie aufwachte, blickte sie schläfrig um sich, die Wange mit dem Abdruck ihres Armes in Falten gezogen; dann wurde ihr klar, daß der graue Morgen, den sie und Elrod verlebten, kaum einen Wandel zum Besseren erfahren hatte, und sie sagte »Oh« – fast wie ein Kind, für das das Aufwachen kein schöner Augenblick ist.
Ich startete den Motor, schaltete in den Rückwärtsgang und drehte das Gas auf. Der Bootsrumpf vibrierte auf der Sandbank, und durch die hinteren Fenster konnte ich sehen, wie hinter dem Heck Schlamm und tote Pflanzen an die Wasseroberfläche blubberten. Aber von der Sandbank kamen wir nicht runter. Ich versuchte es im Vorwärtsgang, um es freizubekommen, aber schließlich machte ich den Motor aus.
»Es hängt ziemlich fest, aber vielleicht kommen wir frei, wenn Sie am Bug anschieben, Elrod«, sagte ich. »Wollen Sie das probieren?«
»Ja, klar.«
»Da ist es nicht tief. Bleiben Sie nur auf der Sandbank, möglichst nah am Bootsrumpf.«
»Nimm eine Rettungsweste, El«, sagte Kelly.
»Bei einer Überschwemmung bin ich mal über den Trinity River geschwommen, als da Häuser den Fluß runterkamen«, sagte er.
Sie nahm eine Rettungsweste aus einem oberen Fach, faßte ihn am Handgelenk und führte seinen Arm durch eine der Schulterschlaufen. Er grinste mich an. Dann blickte er durch die Scheibe ans entgegengesetzte Ufer.
»Was macht der Kerl da?« sagte er.
»Was für ein Kerl?« sagte ich.
»Der Kerl, der da draußen im Gebüsch rumfuhrwerkt.«
»Wie war’s, wenn wir Ihr Boot freimachen und uns danach den Kopf über andere Leute zerbrechen?« sagte ich.
»Sie haben recht«, sagte er, band einen Riemen an der Schwimmweste zu und ging hinaus in den Regen.
Er hielt sich an der Reling auf dem Kabinendach fest und arbeitete sich bis zum Bug vor. Kelly beobachtete ihn durch die Scheibe, und dabei biß sie sich auf die Lippen.
»Er ist ja vorher schon mal an Land gewatet«, sagte ich und lächelte sie an. »Da besteht keine Gefahr.«
»El hat Unfälle. Immer.«
»Ein Psychologe könnte sagen, daß es dafür einen Grund gibt.«
Sie drehte sich vom Fenster weg, und ihre grünen Augen tasteten mein Gesicht ab.
»Sie kennen ihn nicht, Mr. Robicheaux. Nicht den sanftmütigen Menschen, der sich nichts zugute hält. Sie sind zu hart mit ihm.«
»Das ist nicht meine Absicht.«
»Es ist aber so. Sie fällen ein Urteil über ihn.«
»Ich würde es gerne sehen, wenn er sich Hilfe suchte. Aber das wird er nicht tun, solange er trinkt oder Drogen nimmt.«
»Ich wünschte, ich hätte so leichte Antworten.«
»Die sind nicht leicht, ganz und gar nicht.«
Elrod schob sich über das Schandeck, sank bis zur Brust ein und tastete sich dann mit vorsichtigen Schritten durch den Schlick bis zu der Stelle» wo die Sandbank abfiel.
»Können Sie ans Heck gehen? Wegen des Gewichts«, sagte ich.
»Wohin?«
»Ans hintere Ende des Boots.«
»Sicher.«
»Nehmen Sie meinen Regenmantel.«
»Ich bin bereits naß bis auf die Knochen.«
Ich machte den Motor wieder an.
»Einen Moment noch«, sagte ich und setzte ihr meinen Regenhut auf den Kopf. Die nassen blonden Locken lagen flachgedrückt auf ihrer Stirn. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich finde, Sie sind eine ganz besondere Frau, Mrs. Drummond, eine echte Kämpfernatur.«
Mit beiden Händen zog sie die weiche Krempe des Hutes fest auf ihr Haar. Sie gab mir keine Antwort, aber zum ersten Mal, seit ich sie getroffen hatte, sah sie mir ohne Angst oder Furcht oder Abwehr voll in die Augen. Tatsächlich lag in ihrem Blick ein gewisser Respekt, der mit größter Wahrscheinlichkeit nicht leicht zu gewinnen war, wie ich fühlte.
Ich winkte Elrod durch die Frontscheibe zu, schaltete wieder in den Rückwärtsgang und drehte das Gas auf. Der Auspuff tuckerte und
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