Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
die Frau, die sie getötet haben, dafür bezahlen. Aber manchmal wache ich mitten in der Nacht auf, und dann ist die alte Wut wieder da. Obwohl es sie alle hart getroffen hat, ein paar davon endgültig, erscheint es einem trotzdem manchmal nicht genug. Sie kennen das Gefühl, von dem ich rede, oder?«
»Ja.«
»Das dachte ich mir.« Dann sagte ich: »Und Sie sind sich wirklich sicher, daß Sie nicht rauskommen und mit uns essen wollen?«
»Heute ist nicht der rechte Tag dafür, Dave. Trotzdem danke«, sagte sie und ging zur Tür hinaus, die Handtasche fest unter den Arm geklemmt, das Gesicht so reglos und starr wie das eines Soldaten.
Unmittelbar nach meiner Rückkehr vom Mittagessen rief Elrod Sykes im Büro an. Seine Stimme war leise, und der texanische Akzent kam jetzt mehr zum Tragen.
»Kennen Sie die Stelle südlich von Ihrem Pier, wo so’n paar Ruinen einer alten Plantagenvilla sind?« fragte er.
»Was ist damit?«
»Können Sie mich in einer halben Stunde dort treffen?«
»Wozu?«
»Ich möchte mit Ihnen reden, dazu.«
»Reden Sie jetzt, Elrod, oder kommen Sie ins Büro.«
»Da unten werd ich nur nervös. Aus irgendeinem Grund muß ich bei Polizeiuniformen immer an einen Alkoholtest denken. Weiß gar nicht, woher das kommt.«
»Wie Sie klingen, ist bei Ihnen auch schon wieder ein Licht an.«
»Wen schert’s? Ich möchte Ihnen was zeigen. Schaffen Sie’s oder nicht?«
»Ich glaube nicht.«
»Was zum Teufel ist eigentlich mit Ihnen los? Ich habe ein paar Informationen über Kellys Tod. Wollen Sie das oder nicht?«
»Vielleicht sollten Sie mal drüber nachdenken, in welchem Ton Sie mit den Leuten reden.«
»Meine Etikette hab ich in Kellys Familiengrab oben in Kentucky gelassen. Ich treff Sie dann in dreißig Minuten. Wenn Sie kein Interesse haben, lecken Sie mich am Arsch, Mr. Robicheaux.«
Er hängte auf. Ich hatte das Gefühl, daß sich mir allmählich die Seite von Elrods Persönlichkeit offenbarte, die ihm die Aufmerksamkeit der Boulevardblätter eingebracht hatte.
Zwanzig Minuten später fuhr ich mit meinem Pickup auf einer unbefestigten Straße durch ein Zuckerrohrfeld zu den Ruinen der Villa eines Plantagenbesitzers, die in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts am Bayou gebaut worden war. 1863 hatten Unionstruppen unter General Banks das Klavier herausgezerrt und in einem Graben in kleine Stücke geschlagen. Gewissermaßen als Zugabe hatten sie dann die Sklavenquartiere und das obere Stockwerk der Villa niedergebrannt. Das Dach und die Zypressenbalken waren eingestürzt – was blieb, war das aus Ziegeln gemauerte Fundament – die äußeren Gebäudeteile und Zisternen waren zerfallen und jetzt Teil des Erdreichs, die Esse des Schmieds nur noch ein orangefarbener Fleck in der feuchten Erde, und Vandalen hatten die meisten Grabsteine auf dem Familienfriedhof umgekippt. Auf der Suche nach Gold- und Silbermünzen hatten sie auch die Steinplatten in den Kaminen aufgebrochen.
Warum verbringt man Zeit mit einem rabiaten Trunkenbold, erst recht, wenn er die Umstände bestimmt?
Weil es schwierig ist, einem Mann die kalte Schulter zu zeigen oder ihn aus einer Warte moralischer Überlegenheit abzukanzeln, der mit größter Wahrscheinlichkeit für den Rest seines Lebens nachts schweißgebadet aufschrecken wird, heimgesucht von einem ewig wiederkehrenden Alptraum. Einem Mann, dessen endlose Reihe trüber Morgen keinerlei Licht verspricht – nur den ersten harten, scharfen Kick, der aus einem Whiskeyglas kommt.
Ich stand gegen den Kotflügel meines Pickups gelehnt und sah Elrods lavendelfarbenen Cadillac, der sich auf der unbefestigten Straße näherte und schließlich in den Schatten der Eichen rollte, die vor den Ruinen des Hauses wuchsen. Der Mann, der auf dem Filmset für die Sicherheit zuständig war, Murphy Doucet, saß hinter dem Lenkrad, Elrod auf dem Beifahrersitz, den sonnengebräunten Arm auf dem Fensterrahmen, in der Hand eine Dose Coca Cola.
»Wie geht’s Ihnen heute, Detective Robicheaux?« fragte Doucet.
»Ganz gut. Und Ihnen?«
»Wie es so schön heißt, wir pflücken alle Baumwolle für den weißen Mann, wenn Sie verstehen, was ich meine?« fragte er und blinzelte mir zu.
Er rieb die weiße Narbe, die sich wie ein Hühnerfuß an seiner Kehle abzeichnete, und schlug auf dem Lenkrad eine Zeitung auf. Elrod lief außen um den Cadillac herum. Er trug blaue Badehosen, ein beigefarbenes Polohemd und brandneue Nike-Laufschuhe.
Er trank aus einer Coladose, stellte sie auf
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