Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
begraben?
Wir leben heute in dem, was die Leute gerne den neuen Süden nennen. Aber alte Ängste, die verschiedenen Hautfarben betreffend, und ganz gewiß auch weiße Schuldgefühle gegenüber rassistischen Ungerechtigkeiten sterben schwer. Sani »Hogman« Patin, der wahrscheinlich kaum etwas auf dieser Welt fürchtete, hatte mich zur Vorsicht gemahnt, weil ich den gelynchten schwarzen Mann draußen im Atchafalaya-Becken entdeckt hatte. Er hatte auch angedeutet, daß der Tote etwas mit einer weißen Frau gehabt hätte. Für Hogman waren diese lange zurückliegenden Ereignisse immer noch lebendig, das Symbol einer unvergebenen kollektiven Schande, von dem man so indirekt wie möglich sprach, höchstwahrscheinlich auch, weil manche der Akteure noch am Leben waren.
Vielleicht war die Zeit gekommen, noch einmal mit Hogman zu reden, dachte ich.
Als ich zu seinem Haus am Bayou hinausfuhr, fand ich das Innere dunkel vor, und die weißen Vorhänge in den offenen Fenstern blähten sich im Wind nach außen. Hinter dem Haus hörte ich das klimpernde Klingeln der Milk-of-Magnesia-Flaschen und silbernen Kreuze, mit denen er die Äste einer Eiche vollgehängt hatte.
Wo bist du, Hogman? dachte ich bei mir. Ich drückte eine meiner Geschäftskarten in den Winkel der Fliegentür.
Durch die Bäume hindurch sah man gelb den Mond. Ich roch den unverkennbaren Geruch von Innereien, die in einem Topf angebrannt waren. Ich hörte den Motor eines Autos auf der asphaltierten Straße. Das Licht der Scheinwerfer brach sich an den Baumstämmen entlang der Straße, dann bremste der Fahrer ab, und ich dachte, er würde gleich in den Hain von Bäumen an der Vorderseite von Hogmans Grundstück einbiegen. Ich dachte, daß es vermutlich Hogmans Wagen war, und machte ein paar Schritte in Richtung der Straße. Dann trat der Fahrer aufs Gaspedal, und die Scheinwerfer huschten über mich hinweg.
Ich hätte nicht weiter auf den Fahrer und sein Fahrzeug geachtet, aber gerade als ich kehrtmachen wollte, um zu meinem Pickup zu gehen und wegzufahren, machte er die Lichter aus und gab noch mal Gas, diesmal richtig.
Wenn der Zweck dieser Aktion gewesen sein sollte, sein Nummernschild vor mir verborgen zu halten, war es ihm gelungen. Aber es waren zwei andere Details, die mir im Gedächtnis blieben: Der Wagen sah wie neu aus, und er war dunkelblau, genauso wie das Fahrzeug, das zwei Zeugen auf dem Damm im Vermilion Parish gesehen hatten, wo das erstickte Mädchen nackt in ein Metallfaß gestopft worden war.
Vielleicht hatten in dem Wagen aber auch einfach nur ein paar verliebte Teenager gesessen, auf der Suche nach einem ungestörten Plätzchen. Ich war zu müde, noch länger darüber nachzudenken. Ich startete meinen Wagen und fuhr nach Hause.
Die Nacht war klar, die Sterne prall am schwarz gewölbten Himmel. Nichts deutete auf Regen hin, kein plötzlicher Temperaturabfall oder -wechsel, der Nebel übers Wasser gezogen hätte. Aber knappe zweihundert Meter entfernt von Hogmans Haus waren auf einmal dichte weiße Nebelschwaden auf der Straße, so dicht, daß meine Scheinwerfer nicht dagegen ankommen konnten. Zuerst dachte ich, daß auf einem Feld irgendwo ein Feuer brannte und der Wind den Rauch über die Straße geweht haben mußte. Aber die Luft roch süßlich und kühl, wie frisch aufgegrabene Erde, und war fast spürbar feucht. Der Nebel kam in dichten Wolken vom Bayou her, umhüllte die Baumstämme, schloß sich wie ein weißer Handschuh um meinen Pickup, trieb in kleinen Fetzen durch meine Fenster. Ich weiß nicht, ob ich bewußt anhielt oder der Motor einfach ausging. Aber über einen Zeitraum von wenigstens dreißig Sekunden flackerten meine Scheinwerfer an und aus, die Zündung weigerte sich anzuspringen, und kreischendes Rauschen drang aus meinem Radio, so durchdringend wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzen.
Genauso plötzlich wie er gekommen war, löste sich der Nebel wieder von der Straße und den Baumstämmen und der ruhigen Oberfläche des Bayou, als ob jemand eine unsichtbare Flamme darangehalten hätte, und die Nachtluft war wieder so leer und pur wie Wind, den man unter einer Glasglocke eingefangen hat.
Am nächsten Morgen suchte ich im Sonnenlicht nach technischen Erklärungen und reinigte die Anschlüsse der Wagenbatterie mit Natron, Wasser und einer alten Zahnbürste.
Am nächsten Nachmittag rief mich Hogman vom Drehort des Films am Spanish Lake aus an.
»Was hast du bei mir zu Haus gewollt?« sagte er.
»Ich muß mit
Weitere Kostenlose Bücher