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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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schüttelte müde den Kopf. »Nein, aber es macht nichts. Er weigert sich, mir zu glauben.« Sie warf ihr feuchtes Haar nach hinten und entblößte den Sklavenkragen. »Ich bedeute ihm nichts. Ich bin nur eine Sklavin.«
    Helgi stockte der Atem. Sie hatte das Band noch nicht gesehen, das lange Haar der Frau verdeckte es. Warum hatte Magnus ihr das angetan? »Warum hat er dich gerettet?«
    »Ich glaube aus Rache.«
    »Laß sie zufrieden, Mutter. Hör nicht auf sie. Sie spricht nie die Wahrheit.«
    Helgi wandte sich an ihren Sohn. »Stimmt es nicht, daß du sie hergebracht hast, um dich an ihr zu rächen?«
    »Es ist unwichtig, warum ich sie hergebracht habe! Sie ist hier, und sie wird hier bleiben.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Zarabeth mit lauter Stimme. »Ich habe keine andere Wahl, denn so lange er meine kleine Schwester festhält, sind mir die Hände gebunden.«
    Magnus vergaß die Gegenwart seiner Mutter. Wütend packte er Zarabeths Handgelenk, riß sie herum. »So etwas sagst du nie wieder, verfluchtes Frauenzimmer! Ich habe dir gesagt, daß ich Lotti niemals als Druckmittel gegen irgend jemand benutzen werde. Das Kind steht unter meinem Schutz.«
    »Ich glaube dir nicht. Du wirst das Kind bedrohen, wenn du meinst, mich damit kleinzukriegen.«
    Helgi beobachtete die beiden und fragte sich, was zwischen ihnen vorgefallen war. Sie hatte Magnus nie so aufgebracht gesehen. Von ihren drei Söhnen war er derjenige, der sich in jeder Situation fest im Griff hatte. Er war stolz darauf, sich selbst und andere zu beherrschen. Er war immer ruhig, seine Stimme stets gelassen und fest. Nie brüllte er vor Wut los wie jetzt. Nun glich er seinem jüngeren Bruder John, der schrie und fluchte, und der sich nicht darum kümmerte, ob der ganze Gutshof über seine Gefühle Bescheid wußte. Magnus hegte offenbar tiefe Gefühle für diese junge Frau, deren Gesicht von einem wilden Kranz roter Locken umgeben war. Er wollte es nur nicht wahrhaben. Oder vielleicht waren ihm seine Gefühle klar, und er kämpfte mit aller Macht dagegen an. Helgi legte eine Hand auf den Arm ihres Sohnes. »Laß sie los, Magnus. Du hast nie zuvor Sklaven schlecht behandelt. Fang nicht jetzt damit an.«
    »Ja, geh zu deiner Cyra!«
    Jetzt lächelte er auf Zarabeth herab, aber es war ein Lächeln, das seiner Mutter keineswegs gefiel. »Nein, ich werde dich nicht schlecht behandeln. Und ich werde nicht zu Cyra gehen.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zu seinem Vater und seinen Brüdern zurück, die laut sangen, von König Harald Schönhaar, der den habgierigen Gorm von Dänemark an seinen eigenen, langen Haaren erdrosselt hatte.
    Die Zeit kroch dahin. Zarabeth konnte vor Müdigkeit keinen Gedanken fassen. Doch es gab immer mehr Schüsseln, Platten und Trinkgefäße zu spülen. Eine endlose Flut schmutzigen Geschirrs. Aus den Augenwinkeln sah sie, daß die anderen Sklaven das Langhaus verlassen und ihre Hütte aufgesucht hatten. Doch sie mußte Strafarbeit tun. Viele der Männer schliefen, mit den Köpfen auf dem Tisch liegend, laut schnarchend. Das Feuer war erloschen, kein Rauch stieg mehr zu der Öffnung im strohgedeckten Dach auf. Viele Gäste lagen der Reihe nach ausgestreckt auf dem Boden, jeder in eine Decke gehüllt. Ingunn kam zu ihr herüber, laut gähnend. »Du arbeitest langsam, Sklavin. Du wirst nicht eher zur Ruhe kommen, bis du hier fertig bist.«
    Zarabeth dachte an Magnus' Worte. Lotti steht unter meinem Schutz. Sehr wohl. Sie wollte ihm glauben. Ihre kleine Schwester würde für nichts bezahlen, was sie machte. Sie lächelte Ingunn an und sagte: »Nein, Ingunn. Ich bin todmüde und lege mich jetzt schlafen, wie alle anderen Sklaven es bereits getan haben.«
    Ingunn holte hörbar Luft. Das hatte sie nicht erwartet. Ihre Wut kochte über. »Du wagst es?«
    »Ja, ich wage es.« Zarabeth hob die Schultern und wandte sich von dem Holzzuber ab, der mit schmutzigem Geschirr gefüllt war.
    »Ich peitsche dich solange aus, bis dir das Fleisch am Rücken platzt, du Schlampe!«
    Zarabeth sah die unbändige Wut in den Augen der Frau, ohne darauf zu achten. Schnell entfernte sie sich und steuerte die breite Holztür des Langhauses an, stieß sie auf und trat ins Freie. Die Nacht war gar nicht dunkel, nicht wie zu Hause. Es war die Zeit der Mitternachtssonne. Der Himmel war immer noch grau, von fahlem Lichtschein erhellt, wie in der Dämmerung, kurz bevor ein Regen einsetzt.
    Es war warm, eine milde Brise wehte vom Viksfjord herauf. In der Ferne

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