Im Schatten der Mitternachtssonne
Fingerspitzen berührten das kalte Eisenband um ihren Hals.
Als Ingunn laut sagte, Cyra solle der Neuen die Sklavenhütte zeigen, erhob Magnus keinen Einwand. Doch er würde nicht zulassen, daß Zarabeth auch nur eine Nacht dort verbrachte, weder sie noch Lotti. Aber er würde die Situation auf seine Weise regeln. Im übrigen schadete es nicht, sie eine Weile im Glauben zu lassen, sie müsse in der elenden Hütte nächtigen.
Cyra sagte nun schnippisch zu Zarabeth: »Ich schlafe nicht in der Hütte. Ich schlafe im Langhaus bei Magnus.«
Und Zarabeth antwortete mit honigsüßem Lächeln: »Das freut mich für dich, Cyra. Teile getrost weiterhin das Bett des Barbaren, dann belästigt er mich nicht mit seinen Zudringlichkeiten.«
Das Blut stieg ihm in den Kopf. Hätte er sie doch bloß damals auf dem Schiff gepackt und nicht auf das Gezeter der Kleinen geachtet. Verflucht noch mal, er wollte ihr wehtun. Wütend stapfte er ins Langhaus. Bald würde seine Stunde kommen.
Glaubte sie wirklich, er würde zulassen, daß Lotti mit den anderen Sklaven in der kalten, feuchten Hütte schlief?
Er sah, wie Egill zu Horkel lief, der nun ins Haus trat.
Alles war wie früher, nichts hatte sich verändert. Und doch war es anders. Sein Leben hatte sich verändert. So sehr er darauf bedacht war, alles nach seinem Willen zu gestalten, so wußte er, daß die Zukunft sich nicht seinen Plänen unterordnen ließ.
Zarabeth trug eines ihrer Kleider aus zartrosa Wolle mit einem weißen Überwurf. In York hatte sie es mit zwei fein ziselierten Broschen an den Schultern befestigt getragen. Die Schmuckstücke waren weg; vermutlich hatte Toki sie an sich genommen. Sie knotete die Enden der Tunika an den Schultern. Ihr Haar fiel ihr offen über den Rücken. Ingunn hatte ihr aufgetragen, den Gästen Met und Bier nachzuschenken. Sie hatte genickt, ihre Aufmerksamkeit mehr bei Lotti, die erste Bekanntschaft mit den anderen Kindern machte, die ungezwungen im Langhaus herumtollten. Sie wußte nicht, wem die Kinder gehörten, die miteinander spielten. Es schien immer ein Erwachsener in der Nähe, der sie beaufsichtigte, sie zur Ordnung rief, mit ihnen spielte, oder sie sanft aus dem Weg schob, wenn sie störten.
Das Langhaus sah eigentlich aus wie eine langgezogene Scheune. Der Boden war aus festgestampftem Lehm, so hart, daß kein Staub aufwirbelte. An den Seiten bildeten glatte Steinplatten die Umgrenzung. Die Wände waren aus längs gespaltenen Baumstämmen, die versetzt nebeneinander senkrecht standen. Das Dach wurde von schweren Schrägbalken getragen. An der Längsseite des Raumes standen sauber geschrubbte Holztische, an denen nun Familie und Gäste beim Festmahl saßen. Es gab Gebratenes von Rind und Hammel, Reh und Wildschwein. In großen Schüsseln dampften Erbsen, Kohl und Rüben. In Schalen türmten sich Äpfel, Birnen und wilde Beeren. In der Mitte des Raumes gab es eine viereckige Feuerstelle, die etwa einen Meter hoch von behauenen Steinen begrenzt war. Darüber hingen riesige Eisentöpfe an schweren Ketten, mit Haken an den Dachbalken befestigt. In einem Topf schmorte Kalbfleisch, im anderen Rindfleisch, Zwiebeln und Knoblauch. Über den heißen Kohlen lagen Eisenstangen, und darauf brutzelten große Brocken Wildschweinfleisch. Auf einem niederen Tisch neben dem Herd standen Schalen mit kleingeschnittenen und zerstoßenen Kräutern und Gewürzen.
Die Männer tranken aus Rinderhörnern, mit Schnitzereien verziert. Die Frauen tranken aus Holzschalen. Nur Magnus' Mutter trank aus einem fein geschliffenen Glas aus dem Rheingau. Zarabeth ging von einem Gast zum anderen mit einem schweren Holzkrug voll süßem Wein aus Frankreich, den Magnus in Hederby erstanden hatte. Sie war sehr vorsichtig damit, denn der Wein war kostbar. Sie ging zur Haupttafel, an der Herzog Harald Erlingsson als Ehrengast im geschnitzten Armstuhl seines Sohnes saß, seine Gemahlin neben ihm. Er war ebenso groß wie Magnus, sein Haar leuchtete weizenblond, und er war muskulös und schlank wie ein junger Mann.
»He Mädchen«, rief Harald ihr zu. »Bring mir mehr vom Wein meines Sohnes!«
Er hatte gesehen, daß sie sich mit dem Wein näherte, dachte sie, wollte aber die Aufmerksamkeit aller auf sie lenken. In diesem Augenblick hob Magnus den Blick zu ihr.
Es war heiß im Langhaus, und er sah den glänzenden Schweiß auf ihrer Stirn, die feuchten Löckchen, die sich um ihr Gesicht kringelten. Ihr Gesicht war von Hitze gerötet; sie sah schöner aus als je zuvor.
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