Im Schatten der Mitternachtssonne
brachte.
Er wartete eine weitere halbe Stunde. Horkel sang ein Lied von Magnus Vater, dem Held einer Seeschlacht vor etwa fünfzehn Wintern. Damals hatte Harald zwanzig Sklaven gefangen und viele Kisten mit Silber und Gold erbeutet.
Als die Leute zu gähnen anfingen, erhob sich Magnus und wünschte gute Nacht. Zarabeth war nicht mehr im Langhaus. Er ging zur Sklavenhütte. Dort war sie nicht. Er fand sie im Gespräch mit einer der Wachen, die auf ihrem Posten auf dem Turm am Nordtor saß. Eifersucht und Wut stiegen in ihm hoch, bis er verärgert über seine eigene Schwäche erkannte, daß Hollvard der Wächter war, ein alter Mann mit weißen, schütteren Haaren und zahnlosem Mund.
Rasch trat er auf sie zu und blieb stehen.
»Ja, Herrin«, sagte Hollvard gerade in seiner bedächtigen Art. »Da draußen in den Bergen treibt sich Gesindel herum. Selbst ein Mann in Begleitung von sechs Bewaffneten muß sich in acht nehmen. Es sind unsichere Zeiten.«
»Zarabeth«, sagte Magnus und legte ihr die Hand auf die Schultern. Sie spannte sich an, schwieg aber.
»Ich habe der Herrin von unseren Sitten und Gebräuchen erzählt.«
»Ja, das habe ich gehört.« Er bedachte sie mit einem bitteren Blick. »Du hast sie gewarnt, daß es dumm wäre, aus Malek fortzulaufen.«
»Nein, danach hat sie nicht gefragt. Ich habe ihr nur von den Gefahren in der Gegend erzählt.«
»Sie hat dich aus einem bestimmten Grund gefragt, Hollvard, zweifle nicht daran.«
Hollvard schüttelte verständnislos den Kopf. Magnus sagte zu Zarabeth: »Komm jetzt, es ist Zeit zu Bett zu gehen.«
Sie hob zum ersten Mal den Kopf, und er sah ihre Angst, ihren Trotz. Mit ruhiger Stimme befahl er: »Sieh mich nicht so an! Komm.«
Und er nahm ihre Hand, nickte Hollvard zu und führte sie zum Langhaus. Die Nacht war lau und hell.
Er blieb stehen und zog sie sehr behutsam, sehr sanft an sich. »Schau mich an, Zarabeth.«
Sie hob den Kopf, und er erforschte ihre Gesichtszüge. Sanft berührten seine Fingerspitzen ihren Mund, ihre Wangen. Dann küßte er sie. Ihre Lippen waren kalt und fest aufeinander gepreßt.
Er lächelte. »Nein, Liebes. Öffne deine Lippen für mich. Du hast es schon einmal getan, erinnerst du dich?«
Als sie sich blitzschnell entwand und mit Fäusten auf ihn einschlug, reagierte er nicht schnell genug. Sie rannte zurück zum Tor.
Er wollte hinter ihr herschreien, besann sich aber eines Besseren. Er konnte direkt hören, wie seine Männer sich erzählten, daß ihm die Sklavin davongelaufen sei, und er wie ein brünftiger Hirsch hinter ihr her gebrüllt habe.
Er rannte los und holte sie schnell ein. Sie hatte bereits den Holzriegel beiseite geschoben und das Tor aufgerissen. Bevor er sie fassen konnte, war sie draußen. Hollvard glotzte hinter ihr her. Er hatte sich nicht gerührt, um sie aufzuhalten. Sie rannte nicht zum Wasser hinunter, sondern wandte sich landeinwärts und lief den schmalen Feldweg zum Wald hinauf. Dort wollte sie sich vor ihm verstecken.
An der ersten Baumreihe packte er zu.
Seine Wut war verraucht. Im Gegenteil, er war ihr direkt dankbar, denn hier war der richtige Ort. Hier würde er sie nehmen im Schatten der mächtigen Tannen.
»Ich werde dir nicht weh tun«, sagte er und hielt sie an sich gedrückt. Sie schüttelte den Kopf. Er hob ihr Kinn und küßte sie. Sie riß den Kopf herum, keuchend, und er küßte ihr Ohr und ihre Wange. Er hielt ihren Kopf zwischen den Handflächen fest. »Jetzt«, sagte er. »Jetzt ist es soweit.«
Dann hob er sie hoch und ließ sich mit ihr seitlich zur Erde fallen. »Zarabeth«, raunte er dabei, »ich tu dir nichts. Ich nehme dich, und ich wünsche nicht, daß du gegen mich kämpfst.«
Sie schaute dem Mann ins Gesicht, den sie geliebt hatte, den Mann, den sie nun fürchtete, und sagte sehr ruhig: »Wirst du zu Cyra zurückkehren und zu deinen anderen Frauen, wenn du mich genommen hast? Wirst du mich danach in Frieden lassen?«
Er blickte sie wortlos an.
»Du willst mich doch nur strafen, um mich zu unterwerfen, um zu beweisen, daß du der Stärkere bist, um mir zu zeigen, daß du der Herr bist. Wenn du dein Ziel erreicht hast, scherst du dich nicht mehr um mich. Wirst du mich dann in Frieden lassen?«
Langsam und mit klarer Stimme antwortete er: »Du wirst jede Nacht meines Lebens bei mir schlafen und jeden Morgen neben mir aufwachen, selbst wenn ich dich nicht jede Nacht nehme.«
»Warum? Ich bedeute dir nichts! Du haßt mich, du glaubst, ich habe dich belogen, dich
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