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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gesehen. Doch im Grunde waren es Arbeiten, die sie kannte, und sie waren gut, um ihre Gedanken zu betäuben. Sie dachte an Flucht. Sie schloß die Augen beim Teigkneten, und sein Bild stand vor ihren Augen. Magnus hatte sie berührt, so sehr sie sich dagegen zur Wehr gesetzt hatte. Er hatte ihr tiefstes Geheimnis berührt, wieder und immer wieder. Nicht nur die Lust, die er ihr verschafft hatte, verwirrte sie, obgleich sie glaubte, dabei den Verstand zu verlieren. Nachdem sie den Teig lange genug geschmeidig geknetet hatte, dauerte es eine weitere Stunde, bis sie handliche Laibe geformt und auf langstielige, flache Holzschaufeln verteilt hatte, die sie sorgfältig auf die heiße Asche der Feuerstelle bettete. Schweiß bedeckte ihre Stirn. Ihre Arme zitterten vor Erschöpfung. Sie dachte sehnsüchtig an das Badehaus und die kalte Dusche, die Magnus ihr verpaßt hatte. Dann dachte sie daran, daß er mit Cyra dort das Gleiche trieb wie mit ihr.
    Als das Brot gebacken war, schickte Ingunn sie ins Gerstenfeld. Dort würde Haki ihr Anweisung geben, was sie zu tun hatte. Sie ging. Der Tag war warm. Und nach der stickigen Luft im halbdunklen Langhaus war sie froh, im Freien durchatmen zu können. Haki war ein gebückter, alter Mann mit schönen weißen Zähnen. Er lächelte sie an und trug ihr auf, in den Reihen zwischen der Gerste Unkraut zu zupfen und die Vögel zu verscheuchen, die Körner pickten. Sie nickte und tat, wie ihr befohlen. Die Arbeit war nicht schwer. Doch bald fing ihr Magen an zu knurren. Sie hatte noch nichts gegessen, da Magnus sie sehr früh ins Badehaus geschleppt hatte. Sie hoffte, es würde bald etwas zu essen geben. Die Sonne brannte vom Himmel. Der Schweiß lief ihr die Seiten herunter, und der Rücken begann vom ständigen Bücken zu schmerzen. Es waren andere Sklaven auf den Feldern, die ebenfalls Unkraut jäteten und miteinander lachten und scherzten. Bald würde auch sie sich an die Arbeit gewöhnt haben.
    Die Zeit verging; die Sonne stand nun am westlichen Himmel. Ihr war flau vor Hunger. Und sie hatte Durst. Doch Haki sagte nichts.
    Wo Magnus wohl war? Sie hatte ihn nicht gesehen, seit er sie am Eingang des Langhauses am Morgen stehengelassen hatte. Schließlich rief Haki ihr zu, sie solle ins Langhaus zurückgehen; er hatte wohl ihr Magenknurren gehört. Sie versuchte ihn anzulächeln, doch das mißlang kläglich. Als sie die düstere Kühle des Raumes betrat, suchten ihre Augen nach Lotti. Das kleine Mädchen schien aufmerksam zuzuhören, was Eldrid ihr sagte. Die ältere Frau sprach langsam und betonte jedes Wort sorgsam. Zarabeth lächelte erleichtert. Wenigstens wurde Lotti gut behandelt. Und Zarabeth sah, daß Eldrid Lotti das Weben beibrachte. Auch andere kleine Mädchen hörten der Alten aufmerksam zu. Keiner der Jungen war im Langhaus. Sie waren wohl mit den Männern unterwegs, lernten Holz hacken und den Umgang mit Waffen.
    Sie nahm eine Holzschale und schöpfte sich heißen Haferbrei aus einem großen Kessel, der an einer Kette über dem Feuer hing.
    »Ich habe dir nicht erlaubt zu essen«, sagte Ingunn hinter ihr.
    Zarabeth wandte sich langsam um und entgegnete ruhig: »Ich habe Brot gebacken und auf dem Feld gearbeitet. Ich habe seit gestern abend nichts gegessen.« Damit kehrte sie Ingunn den Rücken zu. Im nächsten Moment wurde ihr die Schale aus der Hand geschlagen. Sie schrie auf, als der heiße Brei sich über ihre Hände und Arme ergoß.
    »Ungeschickter Trampel! Heb die Schale auf, und stell sie auf den Tisch. Du wirst jetzt Flachs kämmen, wenn du überhaupt das Geschick dazu hast. Und wenn nicht, wirst du ihn solange kämmen, bis du es kannst!«
    Zarabeth zwang sich mit übermenschlicher Kraft zur Ruhe. So durfte es nicht weitergehen. Aus welchem Grund auch immer, die Frau haßte sie zutiefst. Nun sagte sie mit leiser, ruhiger Stimme: »Ich habe Hunger, Ingunn. Ich werde deinen Flachs kämmen, wenn ich gegessen habe. Nein, ich habe das noch nicht oft gemacht, denn in York gab es Mägde, die diese Arbeit verrichteten. Nun laß mich bitte zufrieden, bis ich gegessen habe. Dann werde ich tun, was du von mir verlangst.«
    Zarabeth bückte sich, um die Holzschale aufzuheben. Sie hörte ein seltsames singendes Geräusch hinter sich. Sie fuhr herum, doch nicht schnell genug. Ingunn ließ die lange Lederpeitsche auf ihre Schultern niedersausen. Der Schmerz durchzuckte sie, und ein Schrei entfuhr ihr.
    Sie versuchte, nach der Peitsche zu greifen. Doch Ingunn war schneller.

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