Im Schatten der Mitternachtssonne
keine Sorgen. Eldrid paßt auf sie auf.«
»Danke«, sagte sie tonlos.
Sie schlief unruhig bis zum Mittag. Deutlich waren die Geräusche aus dem großen Raum zu hören. Sie hörte auch Ingunns Stimme und verkrampfte sich in hilflosem Zorn. Dann schlief sie wieder ein und wurde durch eine Stimme geweckt: »Wie ich sehe, bist du wach.«
Angst schnürte ihr das Herz zusammen. »Ja, jetzt bin ich wach.«
»Willst du den ganzen Tag auf der faulen Haut herumliegen?«
Sehr langsam stützte Zarabeth sich auf den Ellbogen. »Du hast mich verletzt, Ingunn. Mein Rücken schmerzt.«
»Pah! Ich hab dich kaum berührt, verlogenes Miststück! Du willst bloß Mitleid bei Magnus schinden. Aber er hat dich durchschaut. Auch wenn er dich beschlafen hat, ist er nicht dumm. Er kommt wieder zu Verstand. Du hast ihn schon einmal betrogen, ihn angelogen. Er hat dich durchschaut. Er ist fort. Und wäre er hier, würde er dich nicht beschützen.«
Zarabeths Blut geriet in Wallung, als ihre Wut aufstieg, Wut und Angst, daß Ingunn die Wahrheit gesagt haben könnte. »Ich habe nicht gelogen!«
»Lüge nur getrost weiter, mich kümmert es nicht. Doch deine Faulheit laß ich nicht zu. Steh auf! Es gibt viel zu tun. Und ich kann nicht alles alleine machen. Du nimmst nur und gibst nichts. Das ist nicht Wikingerart. Du taugst nicht einmal zur Sklavin.«
Zarabeth setzte sich mühsam auf und zog die Wolldecke bis zum Kinn, um ihre Nacktheit zu verbergen.
Ingunn sah sie lange und kalt an. Der Haß gegen diese Frau drohte sie beinahe zu ersticken.
»Ich sage dir die Wahrheit, Schlampe. Magnus weiß nicht, was er mit dir anfangen soll. Er will dich loswerden. Er hat dich gehabt, aber du hast ihm nicht die Lust gegeben, wie Cyra es tut. Und nun spielst du die Kranke, und er zögert, dich hinauszuwerfen. Er will dich verkaufen, sagte er mir vor wenigen Stunden, aber du jammerst und heulst nur herum. Ich könnte ihm sagen, daß du nur Theater spielst, möchte ihm das aber ersparen. Er hat genug durchgemacht. Da liegt ein wertloses Frauenzimmer in seinem Bett, von der er nichts bekommt, außer, was ihr magerer Körper ihm noch zu bieten hat. Sieh dich bloß an — du bist eine heruntergekommene Drecksschlampe!«
Die Worte trafen sie wie Schläge, und Zarabeth wollte den Kopf schütteln, um sie nicht hören zu müssen, sie wollte Ingunn anschreien, daß sie Lügen erzählte, daß Magnus sie nicht verkaufen wollte, daß . . .
»Ich steh gleich auf. Laß mich allein, ich möchte mich anziehen.«
»Und bist du nun gewillt zu arbeiten? Magnus läßt nicht zu, daß ich dich auspeitsche, bevor du wieder ganz gesund bist. Aber er ist gegangen, weil er dich nicht mehr sehen kann. Dein Betrug schmerzt ihn immer noch. Bist du bereit, das zu tun, was ich dir auftrage, ohne Magnus die Ohren voll zu jammern?«
»Ja, das bin ich.« Und sie war eine Närrin, weil sie Ingunn so leicht in ihr Spinnennetz ging, dachte sie bei sich. Ihr Rücken brannte, und ihr Kopf schmerzte, doch sie wollte keine nutzlose Faulenzerin sein. Langsam stand sie auf. Wenigstens hatte sie einen vollen Bauch. Mühsam hob sie den Deckel von Magnus Truhe. Dort lagen ihre Kleider. Er hatte ihr befohlen, sie dort einzuordnen. Vorsichtig schlüpfte sie in ein altes Kleid, aus dem sie herausgewachsen war. Dann schleppte sie sich in die Halle.
Magnus ruderte das Ein-Mann-Boot in nordöstliche Richtung den Viksfjord hinauf. Das Wasser war ruhig, die Luft kühl, die Sonne stand hoch am Himmel. Er hatte allerdings kein Auge für die Schönheiten der Natur. Er war besorgt und verärgert, denn wieder einmal hatte er das Gefühl, nicht Herr der Lage zu sein.
Als er das Gehöft seiner Eltern erreichte, winkte er den Wachen zu, hielt sich auf Distanz, bis sie ihn erkannt hatten. Dieser Hof war zweimal so groß wie Malek, hier lebten und arbeiteten an die hundert Menschen. Die Weizen- und Roggenfelder waren von Steinmauern umgeben.
Das Dorf war nicht von Holzpalisaden umzäunt, da die Hütten direkt ans Wasser grenzten. Zum Landesinneren bildete ein breiter Wall die Grenze.
Er betrat das riesige Langhaus, und vertraute Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Die Gerüche, die er seit Kindheit kannte, der Webstuhl seiner Mutter, der am selben Platz stand wie eh und je. Aus einer Gruppe schnatternder Frauen und Kinder löste sich seine Mutter, ging ihm lächelnd entgegen und schloß ihn so herzlich in die Arme, daß ihm die Rippen krachten, denn sie war stark wie ein Bär.
Ihre Finger berührten seine
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