Im Schatten der Mitternachtssonne
Antrag abgelehnt. Als ich zurückkehrte, um sie mitzunehmen, stellte ich fest, daß man sie töten wollte, weil sie Olav, ihren betagten Ehemann, ermordet hatte.«
»Ich möchte mit der Frau sprechen. Erlaubst du mir das, Magnus?«
Er warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. Doch seine Mutter beschwichtigte ihn. »So kann das nicht weitergehen. Ingunn ist eifersüchtig auf sie und tut ihr eines Tages möglicherweise wirklich etwas an. Ich würde ihr nicht trauen.«
»Sie ist eine Sklavin! Ingunn hat keinen Grund, die Frau zu hassen.«
Helgi achtete nicht auf seinen Einwurf und wiederholte: »Ingunn tut ihr vielleicht wirklich etwas an. Ich würde ihr nicht trauen.«
»Ich habe Ingunn Strafe angedroht, wenn sie es wagt, noch einmal Hand an Zarabeth oder Lotti zu legen.«
Helgi lächelte über seine Naivität. »In dein Leben wird kein Frieden einkehren, wenn du nicht Ordnung schaffst. Ingunns Haß gegen diese Frau legt sich nicht. Ich rede wieder mit dir, wenn dein Vater eine Entscheidung getroffen hat. Sei vorsichtig, Magnus und versuche, gerecht zu sein.«
Er nickte und verabschiedete sich. Eine Stunde später war er wieder zu Hause. Er betrat das Langhaus und ging sofort in seine Kammer.
Der kleine Raum war leer. Er drehte sich um und brüllte: »Ingunn! Wo ist sie?«
Das eisige Lächeln seiner Schwester ließ ihn bis ins Mark erschauern.
Er hätte sie mit zu seiner Mutter nehmen sollen. »Wo ist sie, Ingunn?«
Achselzuckend antwortete sie: »Mit vier anderen Sklaven draußen im Moor beim Torfstechen. Du weißt, wieviel Brennmaterial wir im Winter brauchen. Rollo jammert, es sei nicht genug, weil er Gerätschaften für dich zu schmieden hat. Und du weißt, wie heiß der Ofen sein muß, um das Eisen zu schmelzen.«
Er starrte sie an. Torfstechen! Bei Odin, das war Männerarbeit, dreckig und schwer. Dazu brauchte man viel Kraft und Ausdauer. Und sie, eine schwache Frau, mußte diese Arbeit tun? In ihrem Zustand? Seine Mutter hatte recht. Ingunn würde ihren eifersüchtigen Haß gegen Zarabeth nie ablegen.
Wortlos drehte er sich um und verließ das Langhaus. Er verließ die Umzäunung und strebte mit langen Schritten dem Fichtenwald im Osten zu, am Rande des Moors.
Zarabeth fühlte sich sterbenselend. Am liebsten wäre sie umgefallen und hätte für immer die Augen zugemacht. Ihr Rücken brannte höllisch, weinen konnte sie nicht mehr. Ihre Muskeln waren verkrampft. Die Schmerzen wurden mit jedem Spatenstich schlimmer. Sie rammte die Schaufel in die schwarze Torferde, bis das Blatt auf harten Grund stieß, dann bückte sie sich, um das Torfstück mit den Händen auszugraben. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie das Torfstechen gelernt und ihren Rhythmus gefunden hatte. Nun war sie völlig erschöpft, ihre Glieder waren bleischwer. Sie konnte kaum die Arme heben, kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Wie töricht von ihr, sich von Ingunn verhöhnen zu lassen. Ihr
Stolz hatte sie verleitet, sich darauf einzulassen. Stolz! Wozu? Sie hatte Schmerzen und trug einen Kragen aus Eisen um den Hals, der sie daran mahnte, daß sie niemand irgend etwas bedeutete. Stolz!
Sie war ein Närrin, eine gottverdammte Närrin. Doch sie grub stoisch weiter, bückte sich und brach ein Torfstück aus dem Morast, hob es hoch und schichtete es auf den Stapel zu den bereits gestochenen Stücken. Sie machte eine kurze Pause, ihr Atem ging pfeifend, der Schmerz zog sich bis in die Knie. Und plötzlich wußte sie, daß er sie beobachtete.
Sie war völlig verdreckt, ihr Kleid triefend naß und schmutzverkrustet. Sie stank nach Torf und brackigem Moorwasser.
Ihr Zopf hatte sich gelöst. Schwer keuchend stand sie ganz still. War er gekommen, um sie zu verhöhnen? Um sie zur Arbeit anzutreiben? War er gekommen, um ihr zu sagen, daß er sie verkaufen würde? Daß sie nichts taugte? Er hatte sie dreimal genommen, und nun interessierte sie ihn nicht mehr. Wieso sollte er sie behalten?
Magnus nickte den anderen Sklaven zu, ausnahmslos Männer. Dann trat er auf sie zu und nahm ihr schmutziges Gesicht in beide Hände. Einen langen Augenblick blickte er ihr in die Augen.
Schließlich sagte er: »Wirf den Spaten weg.«
Ihre wunden Hände ließen den Stiel fallen.
»Bist du wirklich so dumm, hier zu arbeiten?«
Sie starrte ihn wortlos an.
Er runzelte die Stirn. »Hörst du mich nicht?«
»Du willst doch, daß ich hier arbeite. Du willst mich verkaufen, weil du meiner überdrüssig bist.«
»Wir sprechen später über deine
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