Im Schatten der Pineta
sie meinte: ›In gewisser Weise schon.‹ Als ich sie fragte, ob ich ihn kenne, sagte sie, nein, ich würde ihn bestimmt nicht kennen.«
Das Mädchen weinte nicht mehr, zog aber erneut die Nase hoch. Sie holte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich, dann warf sie es mit einer routinierten Bewegung in den Abfalleimer, die eine gewisse Übung erkennen ließ.
Massimo schwieg noch immer. Währenddessen murmelte er im Geiste immer wieder »DasgehtdichnichtsanDasgehtdichnichtsanDasgehtdichnichtsan« wie ein Mantra vor sich hin. Um der Versuchung zu widerstehen. Allmählich fragte er sich, was er eigentlich überhaupt mit dieser Sache zu tun hatte und warum alles, was damit zu tun hatte, ihn so sehr interessierte.
Weil ich so viel mit den Alten zusammen bin, dachte er, bin ich drauf und dran, mich ebenfalls in ein altes Klatschweib zu verwandeln. Los, Massimo, kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, und geh in deine Bar zurück, da gibt es jede Menge zu tun.
»Und warum, glaubst du, hat er’s auf deinen Bruder abgesehen?«, fragte er schließlich, während sich in seinem Kopf das absurde und doch irgendwie zutreffende Bild einer Stadionleuchttafel abzeichnete, auf der stand: »FC Versuchung 3672 – Massimo 0«.
Das Mädchen nickte bedächtig.
»Gestern Abend hat Bruno von Alina eine SMS bekommen. Darin stand: ›Um zehn bei mir vor dem Haus?‹ und dahinter ein Smiley. Das weiß ich, weil ich sie selbst gelesen hab.«
»Hat dein Bruder dir die SMS gezeigt?«
»Nein, ich hab sie heimlich gelesen, als ich im Bad war. Ich weiß, eigentlich macht man so was nicht, aber ich …« Sie unterbrach sich, sah Massimo in die Augen und sagte mit frappierender Offenheit: »Ich wollte nicht, dass er mit Alina ausgeht.«
Aha, dachte Massimo.
»Entschuldige, ich will mich ja nicht in deine Angelegenheiten einmischen« (»Heuchler!«, plärrte die Leuchtschrift auf der Tafel), »aber warum nicht?«
Das Mädchen wollte gerade antworten, als auf der kleinen Lichtung, auf der die Bank stand, eine etwa fünfzigjährige fettleibige Frau von der Statur eines Sumoringers erschien, die einen Yorkshireterrier an der Leine führte. Die Frau blieb nach Atem ringend neben einem Baum stehen und blickte Massimo mit finsterer Miene an, als wollte sie sagen: »Schau sich einer diesen Widerling an, der ist ja mindestens zwanzig Jahre älter als die Kleine.«
Das Mädchen wandte sich wieder Massimo zu und sagte: »Sollen wir woanders hin?«
Während die Frau ihm weiterhin missbilligende Blicke zuwarf, pinkelte der Bonsaihund an einen Busch. Unweigerlich musste Massimo an Ein Fisch namens Wanda denken. Er stellte sich vor, wie im nächsten Moment eine Dogge angerannt kam, sich mit ihrem mächtigen Kiefer den kleinen Hund schnappte und ihn davontrug.
»Gut, lass uns gehen. Magst du vielleicht ein Eis?«, sagte Massimo: Wenn er schon als Pädophiler verdächtigt wurde, dann wollte er seiner Rolle wenigstens gerecht werden.
Sie standen auf, und im Weggehen warf er einen Blick über die Schulter zurück zu der Dicken. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Mädchen nicht hersah, machte er eine obszöne Geste mit der Hand, wie um zu sagen: Und nachher vernasch ich die Kleine. Die Dicke lief rot an.
Zehn Minuten später setzten sie sich an einen schattigen Platz vor der Bar. Massimo hatte absichtlich den Tisch ausgesucht, der am weitesten vom Eingang und damit von den Alten entfernt lag, die so taten, als spielten sie Karten, und immer wieder kicherten. Noch immer den Barista mimend, kam Aldo zu ihnen. Er stellte sich hinter das Mädchen, räusperte sich diskret und fragte höflich: »Il Signor Conte wünschen?«
»Erst einmal, dass du mir den Buckel runterrutschst, und zweitens bring mir einen Eistee. Und für dich?«, fragte er das Mädchen.
»Eine Cola, danke.«
Aldo deutete ein Nicken an und ging.
»Zigarette?«
»Nein, danke. Nicht dass mich noch jemand erkennt, meine Eltern wissen nicht, dass ich rauche.«
»Entschuldige, wenn ich gleich wieder zur Sache komme, aber warum wolltest du nicht, dass dein Bruder …«
Das Mädchen fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, den Blick unbestimmt in die Ferne gerichtet.
Einen Moment lang fürchtete Massimo, sie würde ihm sagen, dass es ihn in der Tat nichts angehe und er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern möge. Womit sie nicht einmal unrecht gehabt hätte.
»Ich will ja nicht schlecht über Alina reden, aber … also, es ist so. Sie war ziemlich unabhängig,
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